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Blogger gibt es auf der ganzen Welt. Natürlich auch in Chemnitz. Nur scheint die Blogger-Szene hierzustadte seltsam blockiert.
Von Chemnitz aus tummeln sich je nach Definition zwei oder drei Dutzend Blogs im Internet. Zunächst muss da unterschieden werden zwischen Blogs, die hier gemacht werden, sich aber allgemeinen Themen widmen und denen, die sich an der Stadt abarbeiten. Zur ersten Kategorie zählen z.B. der ambitionierte Hackfleisch-Blog mincedmeet, den zwei Medienkommunikationsstudentinnen betreiben, oder der Fashion-Blog Stylesnap, der zwischen Chemnitz und Southhampton Menschen und ihre Anziehsachen abbildet.
Interessanter aus lokaler Sicht sind zweifellos die Blogs der zweiten Kategorie. Hier steckt die Chemnitzer Blog-Landschaft noch immer in den Kinderschuhen oder verfängt sich irgendwo in der studentischen Prokrastination. Nur wenige Chemnitzer Blogs erreichen tatsächlich eine öffentliche Relevanz. Eine rühmliche Ausnahme bildet der History-Blog Verlassene Orte Chemnitz. Hier geben zwei Hobby-Fotografen seit 2012 Einblick in die Stadtgeschichte, indem sie ehemalige Wirkungsstätten der Industrie oder Kultur in Bildern festhalten: „Wir wollen die Chemnitzer daran teilhaben lassen, in Erinnerung rufen und aufklären was Chemnitz einst war und was wir heute sind!“ schreiben Sebastian Moroz und René Seidel in ihrem Blog, der mit fast 4000 Facebook-Likes zumindest in dieser Kategorie Spitzenreiter unter den Chemnitzer Blogs ist.
Resonanz = Relevanz
Bleibt man bei der imaginären Aufmerksamkeitswährung Facebook, steht der Re:marx-Blog mit gut 500 Likes noch nicht so gut da. Gefühlt scheint die Seite mit Partyreviews, Clubberichten und obskuren Interviews aber das relevanteste popkulturelle Medium der Stadt zu sein. „Die Anarchie, die wir haben, ist geil. Wir können machen, was wir wollen und tun das auch“ fassen die Re:marx-Betreiber ihre Motivation zusammen. Neben dem ganzen Spaß, „ist es auch echt Arbeit“. Nicht nur die Themenfindung und Umsetzung, sondern auch die kontinuierliche Arbeit an etwas, das statt mit monetärer Motivation lediglich mit Ego-Pushing aufwarten kann. Erste Hinschmeiß-Ideen wurden durch positiven Input von außen vereitelt. Hier gilt wie für alle Blogs: positive Resonanz = Relevanz.
Genau daran ist Toni Jost gescheitert. 2008 startete er den Versuch, mit dem Sonnenbergblog Einblicke in den verheißungsvollen Stadtteil zu geben. Getreu Chemnitz‘ selbstzerstörerischer Art gab es statt erhofftem Krawall und Remmidemmi nach fünf Jahren Berichterstattung „fast keine Resonanz“ - konsequenterweise zog der Betreiber ins Lutherviertel um. Aus den Augen, aus dem Sinn. Auf Nachfrage gab es dann auch als Erklärung für ein Jahr Stille: „Der ist noch online?“
Schwarze Löcher im WWW
Lag es am Thema oder der ungenügenden Anstrengung zur viralen Wirkung, dass Josts Blog zum Erliegen kam? Am Beispiel des Blogs Herzschlag der Moderne kann man sehen, dass durchaus viel Interesse an einer solchen Blog-Öffentlichkeit vorhanden ist. Innerhalb einer Woche gab es Vorschuss-Vertrauen von über 400 Facebook-Likes und unter vielen jungen Menschen die freudige Aussicht auf einen Silberstreifen am plattenbaugrauen Chemnitzer Horizont. Doch dann kam – nichts. Kein Artikel, kein Foto, kein Film. Das Herz dieses Blogs hörte abrupt auf zu schlagen.
Immer wieder leben neue Blogs auf. Doch zu oft verschwinden sie in den schwarzen Löchern des WWW. Zahlreiche Blogs hören von einem Post auf den anderen einfach auf. Da wird nicht einmal Tschüß gesagt. Einen Blog zu betreiben und kontinuierlich neue, relevante Themen zu finden und diese in möglichst sensationell origineller Form zu verarbeiten, kostet Zeit und Kraft.
Notwendig und möglich
Dabei wäre es so wichtig, dass in Chemnitz mehr gebloggt wird. Blogs können Meinungen bilden, die Aufmerksamkeit für Themen schaffen oder neue Interessen überhaupt erst generieren. Insbesondere im lokalen Bereich tun sich für spezialisierte Blogs Chancen auf. Das Zusammenspiel eines fachspezifisch versierten Teams, deren reger Austausch zu immer neuen Perspektiven auf das Gebiet führt, ermöglicht eine Ausführlichkeit, wie sie der traditionellen Presse aus Platz-, Interessen- und Wissensmangel häufig verwehrt bleibt. Diese schwarmhafte Intelligenz kann auch helfen, das größte Blogger-Problem zu lösen: das fehlende journalistische Handwerk. Gerade Recherchearbeiten sind zeitaufwendig und bedürfen Können abseits von Wortversiertheit und Humor.
Schaut man auf Leipzig und deren Blogger-„Dachverband“ heldenstadt.de, zeigt sich, wie es theoretisch gehen kann. Hier werden von 101 Helden bis Zauberhaftes Anderswo insgesamt 235 Blogger vorgestellt, die berichten, wie sie ihr Leipzig erleben. Heldenstadt selbst veröffentlicht wöchentlich einen Podcast über alles, was den Beiden rund um „das neue Berlin“ ein- und auffällt - für die angenehme Dauer einer Kaffeepause. Auch die zugehörige Facebook-Seite und der Twitter-Account werden fast täglich mit Informationen versorgt und hoffen somit Leipzigs hohes Interesse an der Bloggersphäre decken zu können.
Ob nun die Leser fehlen, die Blogger zu wenig Material oder Ambitionen haben - die Gründe für die zurückhaltende Blogkultur in Chemnitz sind nicht klar ausmachbar. Die Subjektivität ihrer Betreiber ist nicht per se ein Manko und kann darüber hinaus eine echte Chance für Chemnitz darstellen. Ob die Lobpreisung dieser einen Partyreihe, der Geheimtipp für den besten Sonnenuntergangs-Spot oder ein Hasslied auf blödsinnige Ampelschaltungen: dadurch entsteht ein Gemeinschafts-Gefühl für unsere Stadt, das aus dem Wohnort ein Zuhause machen kann.
Die Blogs:
www.verlassene-orte-chemnitz.de
chemnitzgebloggt.wordpress.com
herzschlagdermoderne.tumblr.com
www.medientage-chemnitz.de zeigt außerdem, was die Kreativschmiede der Medien-Studenten so hervorzaubert.
Text: Vera Jakubeit (mit Simone Becker)
Was sind Blogs?
Blogs sollen vor allem informieren - und das über Dinge, die in den klassischen Medien nicht oder nicht ausreichend thematisiert werden. Durch die Spezialisierung auf ein eingegrenztes Themengebiet richtet sich jeder Blog auch an ein klar definiertes Zielpublikum. Im besten Falle kontinuierlich bieten professionelle oder sogenannte „Bürger-Journalisten“ ihren Jüngern subjektive Einblicke zu relevanten Ereignissen.
Wieso schreibt jemand einen Blog?
Anreize für das Verfassen eines Blogs sind einerseits ganz grundsätzliche wie Informationsweitergabe oder Sensibilisierung der Öffentlichkeit für ein bestimmtes Thema. Andererseits geht es schlichtweg um Anerkennung und Ego-Boosts. Wer viele Leser hat, der weiß: meine Stimme wird gehört, andere Leute folgen meinen Gedanken und lassen sich von mir beeinflussen. Blogger glauben, mit ihren Worten und Ansichten etwas bewegen können, ob in den Händen, Schränken, Ohren, Augen oder Köpfen.
Guter Blog, Böser Blog?
Dort wo Blogs auf kommerziell verwertbare Themen wie Mode, Technik oder Medien treffen, beginnen nicht selten problematische Beziehungen. Für PR-Unternehmen spielen Blogger nämlich eine große Rolle: Sie stellen mit entsprechender Reichweite eine der einfachsten und billigsten Werbeprojektionsflächen der Welt dar. Als Gegenwert reicht da häufig schon ein Smartphone, das neue Paar Sneaker oder ein Goody-Bag mit Schminke, um eine subjektive Ode an das Produkt zu erhalten. Aber was soll der Blogger machen: irgendwas muss bei der Sache ja rauskommen.
Wieso liest jemand einen Blog?
Einerseits wohl, um verschiedene Meinungen einzufangen. Der Blogger hat eventuell einen besseren Informationszugang, größere Weitsicht und treffenderen Überblick über neue Trends. Gewisse Themen sind schon durch seine wachsamen Sinne geflossen und ich als Leser bekomme das herausgefiltert. Andererseits ist der Mensch voyeuristisch veranlagt, wir schauen eben gerne beim Leben zu! Das aufregendere Leben am anderen Ende der Glasfaserkabel ist 24/7 verfügbar und schürt gleichzeitig die Hoffnung: „Hey, das kann ich auch! Muss nur `nen Blog schreiben…“
Erschienen im 371 Stadtmagazin 03/14