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Letzte Frage im Oktober

Herr Kummer gibt Antwort

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Lieber Herr Kummer, vor 25 Jahren bin ich auf die Straße gegangen, auch dafür, dass es freie Wahlen gibt. Nun stelle ich betrübt fest, dass mittlerweile die Hälfte der Wahlberechtigten so frei ist, gar nicht erst an die Wahlurne zu treten. Begreift der Ossi einfach die Demokratie nicht?

Du bist betrübt, lieber Leserbriefschreiber, über deine Ossilandsleute? Dann hast du sie möglicherweise nicht richtig gekannt oder fälschlicherweise idealisiert. Unter der strengen Diktatur des Proletariats haben sich die Bürger zwar nach freien Wahlen und Mitbestimmung gesehnt aber mindestens genauso nach einem flotten Auto, Pauschalreisen oder Bad-Armaturen. Die Sehnsucht nach den materiellen Dingen ist einer gewissen Zufriedenheit gewichen. Bleiben also nur noch diese lästigen Wahlen.

In Berlin regiert eine riesengroße Koalition mit einer Kanzlerin ohne Ecken und Kanten, die erschreckenderweise den[nbsp] Spitznamen „Mutti“ trägt. Mutti hat ein großes Vorbild, die tugendhafte „schwäbische Hausfrau“. Das ist langweilig, vermittelt aber die beruhigende Botschaft, die Welt mag chaotisch und böse sein, zu Hause aber ist alles in Ordnung und in besten Händen. Dieses erfolgreiche Konzept hat unser sächsischer Regierungschef übernommen. Wie ein gütiger, altväterlicher Provinzfürst, der darauf achtet, dass alles beim Alten bleibt, sitzt Herr Tillich bräsig in Dresden. Er hätte sicher nichts dagegen „Vati“ genannt zu werden. Wahlmüdigkeit hat, so kann vermutet werden, für Herrn Tillich keinen unangenehmen Klang. Für ihn hat diese Müdigkeit eher mit einem positiven Lebensgefühl zu tun, in dem unangenehmer Streit und Parteipolitik keinen Platz haben sollen. Streit und Debatten geht unser „Vati“ möglichst aus dem Weg, dem Bürger wurde erfolgreich das Gefühl gegeben, bei der Landtagswahl gehe es um nichts.

Das ist die Politik der ruhigen Hand, die dem Bürger sagt: „Schlaf ein bisschen, wir regeln alles, du bist bei uns sicher, unsere Politik ist alternativlos.“ Es wurden gemütlich Würstchen gegrillt und es wurde möglichst wenig über Politik gesprochen. Die Terminierung der Wahl auf den letzten Sonntag der Sommerferien war dann noch eine regelrechte Aufforderung, möglichst nicht zur Wahl zu gehen. Herr Tillich, die schläfrige Erscheinung mit dem Dauerlächeln, konnte sicher sein, wiedergewählt zu werden. Für den eigenen Erfolg nahm Tillich eine niedrige Wahlbeteiligung und den Erfolg der Spießer-Populisten von der AfD in Kauf. Ihm war es ganz recht, dass diese Wahl im Schlafmodus vollzogen wurde.

Der klassische Ossi, da bin ich mir sicher, begreift schon die Demokratie. Er hat eben nur bei der letzten Wahl ein Nickerchen gemacht, hat sich von den großen Parteien hypnotisieren lassen. Daran konnte selbst das laute Jammern und Zähneklappern bei der untergehenden FDP nichts ändern. Nun sind die Volksparteien vom Erfolg ihrer Müdigkeitskampagne selbst überrascht. Historisch geringe Wahlbeteiligung! Was tun?

SPD-Generalsekretärin Fahimi hat eine super Idee: „Die Urne kommt zum Wähler“. Was zunächst klingt wie der Werbespruch eines Bestattungsdiscounters soll bedeuten, dass künftig die Abgabe von Stimmzetteln auch in Postämtern und Supermärkten möglich sein soll. Damit sollen politikverdrossene Bürger zur Stimmabgabe motiviert werden. Eine weitere Idee ist eine dreiwöchige Wahlmöglichkeit – unbürokratisch an jedem Ort des Landes, vom Strandkorb bis zur Bäckerei. Und schon, lieber Leserbriefschreiber, ist das Problem Wahlbeteiligung gelöst und du kannst beruhigt zu Bette gehen.

Bild: Tim Reckmann, pixelio.de

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