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Letze Frage im Juli

Herr Kummer weiss Antwort

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Lieber Herr Kummer, ich stecke in einer Zwickmühle. Ich bin ganz klar gegen rechts, aber seit einiger Zeit muss ich mich hier immer mit allen "demokratischen Kräften" in eine Reihe stellen. Dabei empfinde ich die parlamentarische Demokratie eher so als das kleinere Übel. Räterepubliken, direkte Demokratie, Minderheitenvotum, Altersgrenze für das Wahlrecht, Jugendquote usw. finde ich viel spannender. Also muss ich unbedingt Demokratie kaufen, wenn ich doch nur Antifaschismus will?

Was wollen Sie denn kaufen? Die Demokratie? Das ist schlicht unmöglich, denn Demokratie haben Sie doch schon. Ihr Leserbrief wird hier veröffentlicht, kürzlich haben Sie Ihren Stadtrat gewählt, Ampeln und Verwaltungen funktionieren, Schutzmänner laufen Streife und für den Fall der Fälle besitzen Sie eine Rechtsschutzversicherung. Die Demokratie ist einigermaßen verlässlich. Sie funktioniert geräuschlos und unsichtbar - bis sie nicht mehr da ist, dann wird es sehr ungemütlich und wenn man dann erst anfängt für rechtsstaatliche Errungenschaften zu kämpfen, ist es schon zu spät.

Ihre Zwickmühle und Ihre Bauchschmerzen bezüglich einer Zusammenarbeit mit demokratischen Kräften, die wahrscheinlich in einigen Punkten anderer Meinung sind als Sie, dürfen Sie gern in stabilen linksliberalen und multikulturellen Milieus, wie sie im Berliner Kreuzberg oder im hanseatischen Schanzenviertel zu finden sind, verfeinern und diskutieren. Wir befinden uns aber in Sachsen, in Chemnitz in der ehemaligen DDR. Hier geht es momentan nicht vordringlich um direkte, konservative, liberale, soziale, pluralistische, räterepublikanische, dezisionistische, kommunitaristische, kosmopolitische, republikanische, deliberative, partizipative, feministische oder multikulturalistische Demokratievarianten.

Hier geht es um die schlichte Abwehr von rechten Machtphantasien, um Vertrauen, Respekt und Toleranz beziehungsweise den Erhalt einer menschenfreundlichen Lebenskultur. Wenn es nach den säuerlichen, dauereingeschnappten Angstbürgern in Sachsen geht, bekommen wir einen Putin- oder Orban-Klon als Ministerpräsidenten und eine zu diesen Gruselfiguren passende Kultur-, Wirtschafts- und Sozialpolitik. Themen wie Minderheitenvotum, Klimadebatte, Jugendquote in Parlamenten und Genderdiskurse finden die Herrschaften von AFD und Co nicht spannend. Rechtspopulisten und Nazitruppen haben natürlich kein Interesse am konstruktiven Streit im Alltag und in den Parlamenten. Sie wollen das bestehende politische System am liebsten abschaffen. Mitunter schaffen sie sich zügig selbst ab, wie Ronald B. Schill oder H.C. Strache, verlassen kann man sich auf diese angenehme Selbstregulierung aber nicht.

Allerdings konnte sich die von Ihnen als „kleineres Übel“ bezeichnete parlamentarische Demokratie, die in ihrer Geschichte schon immer Herausforderungen und Gefährdungen ausgesetzt war, bislang durch die beachtliche Wandlungsfähigkeit ihrer Institutionen, Verfahren und Techniken behaupten. Auf diese Elastizität muß man setzen, denn die Demokratien werden heute meist nicht durch grobe Gewalt, durch einen Staatsstreich oder einen Militärputsch angegriffen. Die größten Gefahren drohen durch Desinteresse der Bürger, Hetze und[nbsp] Populismus sowie eine beständige Aushöhlung von Regeln und Normen - und im blödesten Fall durch Wahlen. Demokraten müssen bei allen Gegensätzen zusammenarbeiten, um Anti-Demokraten zu stoppen, das klingt langweilig, ist aber meiner Meinung nach der konstruktivste Vorschlag in tückischen Zeiten.

Foto: Berthold Bronisz[nbsp] / pixelio.de

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