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Letzte Frage im November

Herr Kummer weiß Antwort

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Lieber Herr Kummer, Sie werden die Situation kennen: 22.30 Uhr in Chemnitz: kein Bier mehr im Haus, die letzte Fluppe geraucht und im Kühlschrank gammelt nur noch ein Zipfel Leberwurst vor sich hin. Ab in den Späti? Fehlanzeige! Warum hat Chemnitz keine Spätshops?

Nein, diese Situation kenne ich nicht. Ich habe in einem der vielen Supermärkte mit großer Auswahl, moderaten Preisen und immer längeren Öffnungszeiten vorausschauend eingekauft und als ernsthafter Raucher immer eine Reservepackung Tabak in der Schublade. In die geschilderte Notsituation kommen doch eigentlich nur schlecht organisierte Jugendliche, Touristen und verpeilte Informatik-Studenten. Das sind Leute, die schon jetzt rund um die Uhr an Tankstellen überteuerte Milch, Toastbrot und Kaffee kaufen können. Die Grundversorgung ist eigentlich gesichert. „Ich kauf noch was im Späti“ klingt natürlich cooler als „Lass uns nochmal zur Aral gehen“. Manche Spätshop-Freunde haben vielleicht auch einfach eine nostalgische Sehnsucht nach dem guten alten Tante Emma Laden, diesem verklärten Ort zum Quatschen und Herz ausschütten. Dann gibt es auch noch die Bier trinkenden Männer vor den Spätis, die sich einen Bar- bzw. Kneipenbesuch nicht leisten wollen oder können. Zu welcher Kategorie gehörst Du, lieber Leserbriefschreiber? Jedenfalls sehnst Du dich nach einem Spätshop.

Da sage ich doch mal ganz flott, selbst ist der Mann. Lass Dich nicht von den traurigen Gewinnspannen im Einzelhandel schrecken. Du hast doch sicher Großeltern die sich manchmal langweilen, die sich ein paar Euro zur Rente dazu verdienen möchten? Jetzt brauchen wir noch ein paar fleißige, minderjährige Cousins und Cousinen aus der Familie, selbstverständlich deine Bereitschaft, nach Dienstschluss im künftigen Familienbetrieb unentgeltlich noch ein bisschen auszuhelfen, und schon kann der Späti eröffnet werden.

Im Allgemeinen sind es allerdings fleißige, genügsame Migranten mit schlechten Chancen auf dem Arbeitsmarkt, die in ihrer Not diese Einkaufsstätten betreiben. Mittlerweile ist die Zahl der Ausländer in Chemnitz auf über 10.000 angestiegen, nicht alle sind hochqualifiziert, und damit ist es sicher nur eine Frage der Zeit, bis der erste Späti in Chemnitz eröffnet wird. Als richtige Neuerung für unsere Stadt wird man das allerdings nicht bezeichnen können. Spätverkaufsstellen gab es bereits im Arbeiter-und-Bauern-Staat. In Karl-Marx-Stadt waren das die Kaufhallen „an der alten Post“, „Stadtbad / Mühlenstraße“ und für ganz Verwegene das „Russen-Magazin“ Leninstraße. Die nimmermüden Schichtarbeiter aus den Großbetrieben konnten hier abends und am Wochenende Bier, Zigaretten und Leberwurst erwerben. In diesen Verkaufsstellen arbeiteten allerdings fest Angestellte Kräfte mit Urlaubsanspruch, Krankenversicherung und normalem Lohn. Wenn in Chemnitz der erste Späti eröffnet wird, werde ich sicher aus Solidarität mit den Inhabern ein Bier kaufen und aus Gründen der Stadtbelebung ein bisschen vor dem Laden herumlungern. Vor allem werde ich die Daumen drücken, dass die Episode Spätshop für den Betreiber nur ein Sprungbrett in ein weniger selbstausbeuterisches Arbeitsleben darstellt.

Foto: Astrid Kirchhoff [nbsp]/ pixelio.de

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