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Letzte Frage im April

Herr Kummer weiß Antwort

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Lieber Herr Kummer, neulich hat mir jemand erzählt, Sitzen wäre das zweite Rauchen. Unsere „Sitzgesellschaft“ würde uns alle umbringen, nicht nur weil unsere Muskulatur erschlafft, sondern vor allem, weil die wirklich wichtigen Gedanken nur beim Stehen und Gehen zu uns gelängen. Droht also unsere Gesellschaft intellektuell zu verkümmern?

Ach du lieber Schreck! Es gibt also ein neues Übel, das uns krank macht. Langes Sitzen erhöht angeblich das Risiko für Diabetes, Herzkrankheiten, Rückenschmerzen, Dummheit und Tod. Nun werden sicher bald Warnhinweise auf Stühlen und Schockbilder auf Sofas aufgedruckt. Zukünftig werden in den öffentlichen Verkehrsmitteln die Sitzplätze abmontiert und wir müssen sogar in den privaten PKWs stehend fahren. Über die möglichen Gefahren des passiven Sitzens möchte ich gar nicht nachdenken. Allerorten entsorgt man die Stühle, Sitzbälle rollen in die Büros und Fernsehgeräte werden mit Laufbändern gekoppelt. Der Sitzgesellschaft ist der Kampf angesagt.

Unsere Gesellschaft soll auch intellektuell wieder aufgerichtet werden. Große deutsche Persönlichkeiten wiesen bereits auf den Zusammenhang zwischen Sitzen und Denken hin. "Bequeme Möbel heben mein Denken auf", meinte Johann Wolfgang von Goethe schon vor langer Zeit, er benutzte zum Schreiben ein Stehpult. Reichskanzler Otto von Bismarck wiederum ließ sich für ein korrektes, aufrechtes Arbeiten einen Reitsattel fertigen, der auf einem dreibeinigen Hocker angebracht war. Für den Philosophen Friedrich Nietzsche stand felsenfest, daß "nur ergangene Gedanken wert haben".

Den Gehirnen dieser drei Persönlichkeiten hat der Sitzverzicht offenbar nicht geschadet. Ansonsten gibt es aber Schreckliches von ihnen zu berichten. Goethes Leben war überschattet von Krankheiten aller Art, Pocken, Blutsturz, Gicht, Herzinfarkt und Depressionen. Der Geistesriese Nietzsche hatte Migräne, Magenbeschwerden und verschiedene psychische Krankheiten. Bismarck wurde im Laufe seines Lebens immer fetter und wog im Jahr 1879 stattliche 247 Pfund, er litt unter Rheuma, Schlaflosigkeit, Verdauungsstörungen und Hämorrhoiden. Ein Allheilmittel scheint der Sitzverzicht also nicht zu sein. Der intellektuell sicher nicht verkümmerte französische Schriftsteller Gustave Flaubert meinte sogar: "Nur beim Sitzen kann man denken und schreiben".

Eine der bekanntesten Methoden zur Erweiterung des Geistes stammt aus dem Buddhismus: „Zazen“, das „stille Sitzen“. Hier wird Stunden, Tage, mitunter jahrelang gesessen, um große Gedanken auszubrüten. Die Lobbyisten der Steher und Geher irritiert das wenig, sie haben die öffentliche Meinung auf ihrer Seite. Sitzen macht dumm! Stühle und Sessel töten! Wir sind angeblich im Stehen schlauer als im Sitzen. Beim Spazierengehen wären wir noch intelligenter, und wenn wir fliegen könnten, wäre unser Geist wohl völlig entfesselt.

Egal, wie der Kampf gegen die Sitzgesellschaft ausgeht, unbelehrbare Sitzfreunde werden, genau wie die verfolgten Raucher, ihr lasterhaftes Hobby zur Not auch im Geheimen weiter pflegen. Diese Leute pfeifen auf mentale und körperliche Leistungssteigerung. Sie qualmen und dampfen und lümmeln auf ihren unkorrekten Sitzmöbeln. Sitzen oder Stehen, Untergrund oder Mainstream. Lieber Leserbriefschreiber, du mußt dich entscheiden!

Foto: Margit Völtz [nbsp]/ pixelio.de


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