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Letzte Frage im Juli

Herr Kummer weiß Antwort

Veröffentlicht am:

Lieber Herr Kummer, darf man das Karl-Marx-Monument mit einem Trikot der deutschen Nationalmannschaft ummanteln? Ja oder Nein?

Ach, unser Karl-Marx-Kopf.[nbsp] Was werden Archäologen in ein paar tausend Jahren vermuten, wenn sie diese Kollosalstatue ausgraben. War das die blutige Kultstätte einer primitiven Gesellschaft, wurden hier einer bärtigen Gottheit die Herzen von Jungfrauen dargeboten? Richtig ins Grübeln werden die Wissenschaftler aber kommen, wenn sie in der Nähe der vermeintlichen Opferstätte auch noch ein zerknülltes Riesenhemd auffinden. Aber das ist ein Blick in die ferne Zukunft, wenden wir uns der Gegenwart zu.
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Deine Frage, lieber Leserbriefschreiber, würde ich mit einem eindeutigen Ja beantworten. Von mir aus kann das Monument auch mit Vanillesoße übergossen werden, einen Helm verpasst bekommen oder Rosa eingefärbt werden. Oder wie wäre es mit künstlichen Riesenpopeln oder einem 50 Meter langen Granitschlips? Der für die Spießerdiktatur DDR typischen Auftragskunst des Honecker Kumpels Lew Kerbel können derartige Entwürdigungen nur gut tun. Ältere Mitbürger werden sich erinnern, wie einem der grimmige Monsterkopf zu Karl-Marx-Stadt-Zeiten bei einem abendlichen Stadtbummel entlang der Aufmarschstraßen die Laune verderben konnte. Stets in der Nähe des Monuments postierte Volkspolizisten achteten völlig humorlos darauf, dass kein Bürger auf dummdreiste Gedanken kam. Nachdem das realsozialistische Experiment auf deutschem Boden kläglich gescheitert ist, kann man sich seiner unfreiwillig komischen Hinterlassenschaften endlich respektlos annehmen. Nischelhupper, Musiker, Skater, Ikea, Neue Sächsische Galerie, lokale Radiosender und eben auch die Fußballfreunde von Mercedes beackern den Schädel. Das muss man nicht immer gelungen finden, aber es ist doch ein Zeichen dafür, dass auch stalinistische Kunst, die politisch und ästhetisch eine Zumutung ist, von einer Stadt gnädig aufgenommen, sogar integriert werden kann.

Lew Jefimowitsch Kerbels Monumentalplastiken sind im gesamten ehemaligen Ostblock zu finden. Nicht alle sind in einem so gepflegten Zustand wie unser Großkopf. Viele sind mittlerweile demontiert, eingelagert, sogar zerstört oder wie das an der Berliner Greifswalder Straße befindliche 14 Meter hohe und 15 Meter breite Ernst-Thälmann-Denkmal von den respektlosen Bürgern zum Hobbykletterfelsen und zu einer Graffitifläche umfunktioniert wurden. Nebenbei bemerkt, da ich gerade von Respekt spreche: Was hätte wohl ein intelligenter Mann wie Karl Marx vom Vorschlag gehalten, sich nach seinem Ableben, als riesiger abgesägter Schädel in einer sächsischen Stadt, die ihm vermutlich ziemlich egal war, verewigen zu lassen. Ihm, und ich vermute den allermeisten von uns, wäre dies als ein abartiger, gruseliger Scherz erschienen.

Ich persönlich würde mich freuen, wenn auch die bei dieser Fußballweltmeisterschaft frühzeitig ausgeschiedenen Mannschaften auf einer Großplastik gewürdigt werden. Die häßliche Figurengruppe des Künstlers Gerd Jaeger „Würde, Schönheit und Stolz des Menschen im Sozialismus“ vor der Stadthalle könnte mit den Trikots von Spanien, Australien, Kamerun oder England ummantelt und zumindest zeitweise mit dem neuen Titel „Würde, Schönheit und Stolz der Verlierer“ versehen werden.

Foto: Maik Irmscher

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