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Die Faktizität des Unversöhnlichen

Andy Warhol in den Kunstsammlungen

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Ab dem 22. November stellen die Chemnitzer Kunstsammlungen die Werkgruppe Death and Disaster von Andy Warhol aus - erstmals in Europa. Lars Neuenfeld sprach mit dem Kurator der Ausstellung, dem Berliner Galeristen, Literaten und Warhol-Experten Heiner Bastian über Chemnitz, Warhol und den Tod.


Laut Presseinformation wird es „die erste museale Präsentation der bedeutendsten Werkgruppe Andy Warhols in Europa sein“. Werke aus der Death and Disaster Serie waren aber schon häufig in Europa zu sehen, nicht zuletzt bei der großen, ebenfalls von Ihnen kuratierten, Warhol-Retrospektive 2001 in der Berliner Nationalgalerie. Was ist also das Besondere an der Chemnitzer Ausstellung?

Die Berliner Ausstellung war ein erster umfassender europäischer Blick auf das Gesamtwerk von Andy Warhol. Die Chemnitzer Ausstellung befasst sich 26 Jahre nach der legendären Ausstellung Death and Disaster von Walter Hopps in Houston ausschließlich mit der Physiognomie der Katastrophen- und Unglücksbilder. Was vor 26 Jahren noch eine These war, nämlich zu behaupten, daß die Unglücksbilder Andy Warhols bedeutendste Bildsprachen sind, hat sich längst bestätigt. Chemnitz ist also der erste europäische Ort, der Warhols Bildern der individuell-menschlichen Tragödien, der Faktizität des Unversöhnlichen eine Ausstellung widmet.

Über diese Ausstellung würden sich sicher viele großen Museen in Europa freuen. Was ist das Besondere an den Chemnitzer Kunstsammlungen, dass sie hier, fernab der großen Kunstzentren, zu sehen sein wird?

Es ist die Generaldirektorin, Frau Ingrid Mössinger, die erkannt hat, daß Warhols Katastrophen- und Unglücksdarstellungen in der zweiten Hälfte des grausamen letzten Jahrhunderts als elementarer künstlerischer Beitrag der [gt]conditio humana[lt] zu verstehen sind.

Warhol beginnt 1962 mit 129 Die in Jet mit der Serie. Wie viele Werke entstanden für diese Werkgruppe insgesamt und wie viele davon werden in Chemnitz zu sehen sein?

»129 DIE IN JET« ist das erste Desaster-Bild. Es ist das erste und letzte handgemalte Bild, das ein Unglück, das eine Zeitung in einem Bildbericht abbildet, faktisch schablonenhaft wiedergibt. Im Spätsommer 1962 entdeckt Andy Warhol die photomechanische Siebdrucktechnik auf Leinwand, die fortan seine Technik für alle entstehenden Werke sein wird.

Es war ein Freund Warhols, der junge Kurator am Metropolitan Museum in New York, Henry Geldzahler, der Andy Warhol darstellte, daß zur Ikonographie eines Portraits von Amerika, neben den Alltagsmythen und den Konsumlitaneien, die Gewalt, das individuelle und gesellschaftliche Unglück gehörten.
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Aus dieser Werkreihe der Desaster zeigt Chemnitz exemplarisch bedeutende Bilder der Car-Crash-Serien, der Electric-Chair-, der Tunafish-, der Suizid-Werke, der Skull- und Gun-Variationen.

Welche Beziehung hatte Warhol Ihres Erachtens nach zum Thema Tod?

Warhol war sich der Gegenwart des Todes bewusst, der Tod war Teil der Alchimie der täglichen Realität.

1968 wird Warhol Opfer eines Attentats, das er schwerverletzt überlebt. Inwiefern wirkt sich dieses Ereignis auf seinen künstlerischen Umgang mit dem Todesthema aus?

1968 waren die Desaster-Darstellungen alle bereits entstanden. Der Tod, die Zufälligkeit eines Todes aber, gehörte fortan umso stärker zu seinem Leben, das er während des Attentats fast verloren hatte. Natürlich wurde auch sein Studio, das vor dem Attentat ein offener Begegnungsort für Künstler, Underground-Filmemacher, für Hippies und Drogensüchtige, für Huren und Aussteiger war, jetzt ein anderer, überwachter Ort. Andy Warhols Schüchternheit nahm zu, seine sprichwörtliche Berührungsangst wurde noch größer.

Lou Reed und John Cale nannten ihr Andy Warhol gewidmetes Album Songs for Drella. Drella stand nach Reeds Auskunft für die Mischung aus Devil und Cinderella, die Warhols Wesen ausgezeichnet hätte. Boshaftigkeit und Naivität - prägt das auch die Werke der Death and Disaster-Serie?

Meines Erachtens ist genau das Gegenteil der Fall. Andy Warhol selbst sprach von der Tragik der individuellen anonymen Unfall-Tode und der Vorstellung, dieser tödlich Verunglückten zu gedenken.

Andy Warhol ist eine internationale Kunstmarke, die überall in der Welt Museen füllt. Warum ist er so populär und was hat Warhol selbst dafür getan?

Weil Andy Warhol der bedeutendste künstlerische Chronist seiner Zeit war, der früh verstanden hat, daß wir die Welt immer stärker nur noch in Bildern sehen werden und die virtuellen Oberflächen und die mediale Wirklichkeit unser Leben bestimmen.

Das Variieren und Zitieren des eigenen Werks ist ein Wesensmerkmal von Warhols Schaffen. Woher kam diese Lust am Wiederholen?

Nach der Entdeckung des Siebdrucks war das einzelne Bild irrelevant geworden. Die Herstellung von Serien war jetzt möglich und die Tatsache, daß auch Mitarbeiter im Studio diese Serien herstellen konnten. Der mechanisch-maschinelle Aspekt der Arbeit faszinierte Warhol.

Die Werke galten zum Zeitpunkt ihrer Entstehung als radikal. Heute hingegen sind wir Katastrophen-Bilder weit mehr gewohnt, das Internet hat sowieso jede Grenze des Voyeurismus gesprengt. Worin besteht also der Reiz dieser Bilder für den heutigen Betrachter?

Die Werke wurden in ersten Ausstellungen und Rezensionen abgelehnt, vor allem in Amerika. Erst nach Warhols erster Ausstellung in der Galerie Sonnabend in Paris 1964 wurden die Unglücksbilder gleichsam über den Umweg der europäischen Interpretation als radikale Werke erkannt, die das Tafelbild ablösten und die Kunst revolutionierten.
Auch heute noch kann sich niemand der Macht dieser Desaster entziehen, der Metaphysik des Schreckens und seiner vollkommenen Absurdität.

Vielen Dank für das Gespräch.

Die Ausstellung ist bis zum 22. Februar 2015 in den Kunstsammlungen Chemnitz zu sehen.

Bild: Andy Warhol
Big Electric Chair, 1967/68
Acryl und Siebdruck auf Leinwand
137,2 x 185,5 cm
Sammlung Froehlich, Stuttgart
© 2014 The Andy Warhol Foundation for the Visual Arts, Inc. /
Artists Rights Society (ARS), New York

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