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Um die Wunst

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Der Bauch zum Kopf: Im Schillerpark liegt nun der Darm von Karl Marx. Natürlich aus Plastik.

Am 15.08. eröffnete in Chemnitz die Ausstellung „GEGENWARTEN / PRESENCES“, die vor allem Kunst im öffentlichen Raum zeigt. Kuratiert wurde das Ganze vom Kuratoren-Team Florian Matzner und Sarah Sigmund. Sie luden 20 Künstler*innen und Kollektive ein, sich mit Chemnitz, ihrer Geschichte und der Stadtgesellschaft auseinanderzusetzen.

Die Mitwirkenden zeigen unterschiedliche künstlerische Positionen. Es gibt Filme, Performances, Installationen, interaktive Werke, die sich in der gesamten Stadt verteilen. Ein Besuch der „GEGENWARTEN“-Ausstellung ermöglicht einen Rundgang durch die Chemnitzer Innenstadt, der innerhalb weniger Stunden fußläufig absolviert werden kann.

Da Kunst im öffentlichen Raum plötzlich alle Menschen angeht, keiner sich entziehen kann und viele denken, dass die Werke ausschließlich von mühsam erarbeiteten Steuergeldern finanziert wurden, entbrannte vor allem im Internet eine hitzige Diskussion über Kunst. Einige fanden zum Beispiel den vom international anerkannten Schweizer Aktions-Künstler Roman Signer versenkten Skoda im Schlossteich sehr gut, andere tobten vor Wut. Die Scheinwerfer des Autos leuchten in der Nacht, die Szenerie wirkt, als ob erst vor Kurzem ein Unfall stattgefunden hätte.

Nun fragt man sich als Spaziergänger, was da wohl passiert sein könnte und wie die Geschichte weitergeht. Die Installation lässt einen interessanten Raum für Interpretation offen. Diese Deutungsmöglichkeiten überfordern offensichtlich viele Menschen. So liest man: „Ist das Kunst oder kann das weg?“, „Das ist Umweltverschmutzung“
oder „Einen ostdeutschen Trabi hätte ich ja noch verstanden, aber warum muss es ausgerechnet ein Skoda sein?“. Viele waren selbstverständlich der Meinung, dass sie das „auch selbst gekonnt hätten.“ Diese Internet-Diskussion war teilweise echt nervig, aber eigentlich ist die Auseinandersetzung mit Kunst, wie auch immer sie geschehen mag, eine gute Sache. Kunst muss nicht gefallen, sie kann auch empören oder verärgern, das Wichtige ist, dass sie etwas auslöst.

Einige Menschen waren der Meinung, sie könnten auch ein Kunstwerk schaffen, indem sie einfach „irgendwo hinkacken“, da man ja heutzutage „alles darf, wenn man es nur Kunst nennt“. Die Verfasser*innen dieser Kommentare wollten der Oberbürgermeisterin auf den Schreibtisch koten oder ihren Diskussionspartner*innen ins Gesicht. Wer weiß, vielleicht traut sich einer dieser Menschen endlich und findet durch den Diskurs im Internet die Inspiration als Scheiße-Künstler*in tätig zu werden. Das wäre doch schön.

Um die Kunst der „GEGENWARTEN“ zu sehen, muss man keine Schwellenängste überwinden, wie beim Gang ins Museum. Man bekommt die Werke serviert, wenn man auf Arbeit fährt, spazieren geht oder Brötchen beim Bäcker holt. Und wenn einem ein im Schillerplatz ausgelegter Karl-Marx-Darm rasend vor Wut macht, dann gefällt vielleicht etwas Anderes. Zum Beispiel die Glockenspiel-Sound-Installation von Olaf Nicolai im Turm des Neuen Rathauses oder der Film „Die Untoten“
von Tobias Zielony, der im Erdgeschoss des Tietz gezeigt wird und sich auf ironische Art und Weise mit den Taten des NSU auseinandersetzt. Politisch ist auch die Antifa-Ausstellung des Peng.Collectives. Sie präsentiert zehn Exponate, die
unterschiedliche antifaschistische Aktionen in Sachsen und Deutschland verdeutlichen.

Es ist fast schon absurd, wie anders die bespielten Plätze auf mich als Ur-Chemnitzerin wirken, obwohl ich sie schon tausendmal besucht habe. Kunst im öffentlichen Raum macht etwas mit einem Ort, verändert ihn. Ich fühle mich wie
eine Touristin in einer anderen Stadt, meine Augen sehen die längst bekannte Umgebung völlig neu. So gibt es beispielsweise das Projekt „9 Neue Gärten“ auf dem Platz an der alten Post.

Die Gartenkünstler*innen nutzten bereits vorhandene Betonkästen, die sie zu Pflanzenkübeln umfunktionierten. Durch ihre Kunst rufen sie vergessene Elemente öffentlicher Plätze wieder ins Gedächtnis. Die urbanen Gärten dürfen selbstverständlich abgeerntet werden und laden außerdem durch Sitzmöglichkeiten zum Verweilen ein. Damit hauchen die Künstler*innen dem vergessenen Platz an der alten Post wieder neues Leben ein. Und ungewöhnlich schön ist das auch – ein Kürbis auf Asphalt-Fußboden.

Wer nun immer noch vor Wut schnaubt und mit zittrigen Fingern einen „Kunst kommt von können und nicht von wollen, sonst hieße es ja Wunst“- Kommentar ins Internet reinhacken will, der sollte sich kurz besinnen. Die „GEGENWARTEN“
gehen nur bis zum 25. Oktober. Also immer mit der Ruhe. Danach ist alles wieder verschwunden. Man könnte seine Wut auch in etwas Produktiveres und Nachhaltigeres lenken, zum Beispiel in Kunst.[nbsp]

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