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Vorsprung durch Beliebigkeit

Moderne oder Macher?

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Die Stadt der Moderne soll bald Geschichte sein. Was kommt stattdessen? Unser Autor hat aufmerksam zugehört und glaubt, den neuen Stadtslogan schon zu kennen: Irgendwas mit Macher. Macht das Sinn?

Der Chemnitzer OB-Geschmack ist ausgesprochen unaufgeregt. Auch nach 27 Jahren heißt es: »SPD muss es sein«. Immerhin. Wenig Aufregung gab es dann auch von Ex-Kandidat Sven Schulze auf die Frage der Freien Presse, welches Projekt aus der Amtszeit seiner Vorgängerin er im Falle seiner Wahl stoppen würde: Das mit der Stadt der Moderne – kam nicht an und hat keiner so richtig verstanden. Dass Barbara Ludwig nicht vor Wut kocht, sondern Schulzes Auffassung teilt, ist ebenfalls wenig aufgeregt. »Aus meiner Sicht ist nach den vielen Jahren die Frage zu stellen, ob man sich auf die Suche nach einem neuen Slogan macht oder ob die Zeit der Slogans insgesamt vorbei ist«, sagt sie auf Nachfrage der Freien Presse.

Nun haben beide Recht. Auf die Frage: »Was bedeutet Stadt der Moderne für Sie?« antworteten bei einer fiktiven 371-Umfrage 93% der Interviewten mit einem Schulterzucken, der Rest erwähnte die Villa Esche oder beschwerte sich über die mangelnde Digitalisierung in der Stadtverwaltung. Verwirrung also. Und Barbara Ludwigs Idee, dass Chemnitz vielleicht gar keinen Slogan braucht, ist eine Überlegung wert. Karlsruhe hat das übrigens vorgemacht: Als die Einführung eines neuen Werbespruchs am Widerstand der Bevölkerung scheiterte, wurde der alte Slogan vorerst ersatzlos gestrichen. Entscheidet sich Chemnitz hingegen für einen Nachfolger von Stadt der Moderne, steht die Frage, wie dieser aussehen könnte, im Raum. Die Versuchung ist groß, hier mittellustige Vorschläge aufzuzählen. Begeben wir uns stattdessen auf die Suche nach Schlagwörtern, die die gerade besonders häufig im Kontext des Chemnitzer Stadtmarketings verwendet werden.

Sei es auf der Webseite der Die Stadt bin ich!-Kampagne, in den Bid Books oder während Barbara Ludwigs Kulturhauptstadt-Dankesrede – der Begriff des Machers scheint das Zauberwort der Chemnitzer Identitätssuche zu sein. Also keine falsche Scheu vor Naheliegendem. Wie wäre es denn mit Macherstadt Chemnitz? Oder besser: Chemnitz – Stadt der Macher? Hat jemand mitgeschrieben? Kritische Stimmen würden an dieser Stelle ungezähmt ihrem Unmut gegenüber dem Begriff Luft verschaffen: Macher, das ist doch so ein neoliberaler Kampfbegriff, mit dem der*die letzte Faule aus der Nische vertrieben werden soll. »Jetzt wird in die Hände gespuckt« und so. Oder sie würden sich darüber beschweren, dass Macher kontinuierlich nur in der männlichen Form benutzt wird und das ziemlich 20. Jahrhundert ist. Bilder von verschwitzen Machertypen, denen jeder Zweifel am eigenen Werk fremd ist, würden ins Feld geführt. Macker lässt grüßen. Das sind alles berechtigte Einwände. Und doch wollen wir die andere Seite ins Licht rücken.

Stadt der Macher bzw. die sperrigere, aber dafür inklusive Variante Stadt der Macher*innen wären Slogans, die trotz aller Widersprüche umarmt werden wollen. Denn kaum ein Begriff bietet so viel Möglichkeit zur Identifikation wie machen. Machen nicht alle irgendetwas? »Es macht der Mensch, so lang er lebt«, so oder ähnlich heißt es in Goethes Faust. Kein anderer Slogan wäre so offen und versöhnlich, würde alle so abholen wie Stadt der Macher*innen. Vorsprung durch Beliebigkeit quasi. Nach diesem aufregenden Plädoyer geht der Autor mit bestem Beispiel voran und tut das, was er am besten kann: Nichts machen.

Text: Christian Selent Foto: by_Erhard Einloft_pixelio.de

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