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Im Jahresrückblick der Zeitschrift „Theater Heute“ bekam das Schauspielhaus Chemnitz zur vergangenen Spielzeit siebenfaches Kritikerlob für Schauspieler und Stücke. Bist du zufrieden mit deinem ersten Jahr als Schauspieldirektor?
Ich bin sehr zufrieden. Viele Sachen, die wir uns vorgenommen haben, sind aufgegangen, viele sind auch besser geworden, als man sich das hätte wünschen können. Da kann ich mich nicht beschweren. Aber, obwohl man vieles an einer Person fest macht, liegt es ja eigentlich an einem Team. Ich habe viele sehr gute Leute, Dramaturgen, Schauspieler sowieso, auch die Technik – an dem Erfolg sind ja viele beteiligt.
Wie war das Resümee des Ensembles, das sich in Chemnitz fast komplett neu zusammen fand?
Ich hab das Gefühl, dass sie sich in der Arbeit recht bald gefunden haben und dass es gut harmoniert, was auch Gastregisseure bestätigt haben. Die Stimmung ist gut, nach wie vor, und natürlich gibt so ein Erfolg erst einmal Aufwind und eine Welle, auf der man eine Zeit lang surfen kann.
Bei allem Lob; gab es auch Fehler, aus denen du gelernt hast?
Schwierig. Es ist sicher noch zu früh, um zu überschauen, wie das alles in einer Stadt wie Chemnitz funktioniert. Da sind wir noch auf der Suche. Aber ich muss wirklich sagen, es gibt erstmal nichts, was ich anders machen würde. Natürlich gibt es ein paar Stücke, wo ich mir mehr Zuschauer gewünscht hätte, aber das ist einfach so. Da hat Chemnitz seine Eigenheiten, wie jede Stadt ihre Eigenheiten hat. Die Bevölkerungsstruktur spiegelt sich natürlich auch im Theater wider.
Was denkst du, welchen Stellenwert hat das Schauspielhaus in Chemnitz bei Einwohnern und Entscheidungsträgern?
Ich glaube einen ziemlich hohen. Bei den Einwohnern auch deswegen, weil kulturelle Angebote hier quantitativ überschaubar sind. Es gibt einfach nicht die Masse, sondern die Klasse. Da hat so ein Haus wie das Schauspielhaus, was auch eine große Tradition hat, schon enorme Bedeutung. Und die wird auch von der Stadtpolitik gesehen und sehr unterstützt. Ich habe im ersten Jahr von der Oberbürgermeisterin nur freundliche Worte gehört – sie war ja auch selbst öfter hier. Das kann man nicht von jedem Politiker sagen.
Wo siehst du das Schauspielhaus Chemnitz momentan bundesweit?
Der Ruf, den es genießt, rührt glaub ich von der langen Tradition her; vor allem aus den 80er Jahren. Der Theatermarkt ist aber sehr, sehr kurzlebig und immer aufgeschreckter und aufgeheizter. Da fällt eine Stadt wie Chemnitz schnell mal durchs Sieb. Aber gerade im letzten Jahr haben wir schon eine sehr große überregionale Aufmerksamkeit bekommen.
Das Spielzeitmotto und die sehr gut angenommene Reihe „Nachtschicht“ waren Neuerungen im letzten Jahr. Sind weitere geplant?
Wir probieren immer noch weiter. Das Ensemble – Matthias Huber vor allem – hat es ja in der Hand. Es kommt jetzt etwa eine neue Reihe, „Nachtschicht Vinyl“, da werden Mitglieder aus dem Haus auf der großen Bühne mit der kompletten Anlage ihre Musik abspielen – bei voller Lautstärke. Es gibt also neue Programmfarben, die wir versuchen werden. Ich hätte mir aber gewünscht, dass Reihen wie der Seniorentanztee oder „Nachtschicht Queer“ besser laufen. Andere wie „Club Royal“ oder „Chemnitz Rocken“ haben dagegen sehr gut funktioniert. Damit hätte ich auch bei der Vorlesungsfreien Zeit – dem Quiz im Exil – gar nicht gerechnet. Das kann man also nicht planen.
Im Opernhaus war man überrascht, dass gerade moderne Stücke sehr gut angenommen wurden. Ist das bei euch ähnlich?
Nein. Aber die Leute, die hier seit Jahren arbeiten – vom Einlassdienst bis zum Techniker – beschreiben, dass sich das Publikum schon sehr geändert hat. Es ist jünger geworden, es gibt eine Bildungsbürgerschicht, die herkommt; gerade zu Stücken wie „Die schmutzigen Hände“ und „Gott des Gemetzels“. Und auch wirklich neue Publikumsschichten, die man hier noch nie gesehen hat, etwa bei „Chemnitz Rocken“. Ob jetzt ältere wegbleiben? Kaum, aber es zeigt, dass man durchaus wieder neue Zuschauer dazu gewinnen kann. Das ist aber ein langer Weg, da muss man ein gewisses Vertrauen erarbeiten, dass sie idealerweise auch in Stücke kommen, die sie gar nicht kennen.
Es ist also nicht so, dass du ein Zielpublikum besonders ansprichst?
Nein, wir bieten ja wirklich für alle etwas an. Dieses Jahr machen wir zum Beispiel ein Stück für Menschen ab 3 oder 4, „Herr Sturm und sein Wurm“. Da erzählt ein Schauspieler eine Geschichte für die ganz Kleinen. Und wir zeigen auf der großen Bühne „Arsen und Spitzenhäubchen“, eine tolle Komödie, klug, aber mit extrem schwarzem Humor. Das dürfte dann für viele Zuschauergruppen etwas sein. Es geht in einem Stadttheater auch gar nicht, dass man sich nur an eine Zielgruppe richtet, da muss man ein breites Spektrum erreichen. Das ist es auch, was ich mag.
Das spiegelt sich ja auch im Spielzeitmotto „Glaube Liebe Hoffnung“ wider, die letztlich menschliche Grundbedürfnisse sind. Wie werden die Mottos gefunden?
Die Mottos werden Stücken entlehnt. In der letzten Spielzeit Tennessee Williams’ „Endstation Sehnsucht“, jetzt „Glaube Liebe Hoffnung“ von Ödön von Horváth, was übrigens in Chemnitz noch nie gelaufen ist. Da war ich überrascht; normalerweise ist bei diesem Stück eher die Frage, wann die letzte Aufführung war. Wir haben es als zentrales Stück gesetzt und geschaut, welche Texte sich drumherum noch thematisch einordnen lassen. Und klar, Glaube, Liebe, Hoffnung sind die Grundfesten des Abendlandes, da fielen uns Stücke ein wie „Urfaust“, „Elektra“ oder „Doña Rosita“ – das Stück über Hoffnung schlechthin. Aber das Motto vom nächsten Jahr wissen wir noch nicht. Auch wenn es Ideen gibt.
Wie viel Vorplanungszeit habt ihr?
Wir denken schon jetzt ernsthaft über die nächste Spielzeit nach. Wenn man Gäste als Regisseure oder Bühnenbildner haben will, muss man rechtzeitig anfragen.
Angenommen, du hättest keinerlei Grenzen – finanziell oder technisch – was würdest du gern auf die Bühne bringen?
Oh, da gibt es viele Sachen, aber ich muss sagen, wir sind dem Ideal schon sehr nah. Das ist wirklich ein Luxus, dass man die Stücke machen kann, die man gerne mag. Sicher muss man sich manchmal auch etwas zurücknehmen; da gibt es noch Stücke von Schnitzler oder „Kasimir und Karoline“ von Horváth, die in dieser Ballung vielleicht fraglich wären.
Interview: Michael Chlebusch Foto: Dieter Wuschanski
Erschienen im 371 Stadtmagazin 10/09