⚠ Diese Webseite wurde nicht für Internet Explorer 11 optimiert. Wir empfehlen Mozilla Firefox , Microsoft Edge oder Google Chrome.
Veröffentlicht am:
Mit Kunst im öffentlichen Raum ist das so eine Sache: Sie trifft nie den Geschmack aller Betrachter. Mit Graffiti ist das noch eine andere: es kann künstlerisch, illegal, lukrativ oder kostspielig sein.
Der italienischen Wortherkunft nach handelt es sich bei Graffiti um Schraffuren. Dabei wird zwar heute nach wie vor, respektive wieder, auch in Oberflächen, vor allem Scheiben des ÖPNV geritzt, doch ist dieses Scratchen nur ein eher unkreativer Zweig einer vielschichtigen Szene. Das prototypische Graffiti ist das gesprühte Piece. Zu unterscheiden sind hier Tags und Styles, erstere sind gern auch mit Stiften schnell gemalte Signaturen, letztere mehr oder weniger aufwendig gestaltete großflächige Schriftzüge, die in einfacher Ausführung auch Bombings genannt werden. Das Fachvokabular der Sprayer könnte ein Lexikon füllen.
1000 Anzeigen jährlich
Für Kriminalhauptkommissar Frank Richter ist der Fall da einfacher gelagert. Wenn der Leiter der Chemnitzer Ermittlungsgruppe „Graffiti“ ein Werk auf den Tisch bekommt, dann läuft dies stets unter dem Schlagwort „Sachbeschädigung“. Seit der Novellierung des Paragrafen 303 StGB vor fünf Jahren „wird bestraft, wer unbefugt das Erscheinungsbild einer fremden Sache nicht nur unerheblich und nicht nur vorübergehend“ verändert. Als malen, wie es in der Szene heißt, zur Sachbeschädigung wurde, hatte Frank Richter schon einige Jahre in der Ermittlungsgruppe hinter sich. Diese wurde Ende der 90er gegründet, da trieb gerade ein gewisser XIO in der Stadt sein Unwesen und zog nicht nur den Missmut betroffener Hausbesitzer auf sich. „In der Szene haben den alle gehasst“, schimpft Guido Günther, Chef des Rebelart, noch heute. Drei Buchstaben in hundertfacher Ausführung, hatte XIO in der Stadt verbreitet, einfach hingeschrieben ohne Style. Nah dran, auch was die Beliebtheit in der Szene betrifft, ist da aktuell jener Smiley-Sprayer, der Chemnitz mit seinen halbrunden Fratzen bestückt. Doch anders als auf der Morgenpost getitelt wird dieser nicht von der Polizei „gejagt“. Das ist eine Meinung, die Frank Richter zwar kennt, doch der er widersprechen muss.
„Wir sind nicht dazu da, die Szene oder das Phänomen Streetart und Graffiti zu bekämpfen“, erklärt der Ermittler. „Als Ermittlungsgruppe ist es unsere Aufgabe, die Anzeigen der Bürger wegen Sachbeschädigung abzuarbeiten.“ Was nicht zur Anzeige kommt, wird nicht verfolgt. Was nicht heißt, dass es wenig zu tun gibt. Etwa 1000 Anzeigen Jährlich, also 90 pro Monat, landen auf dem Tisch der Chemnitzer EG „Graffiti“.
Darunter war unlängst auch eine aus dem Weltecho. Den letzten Anschlag, den Kinobetreiber Ingo Scheller dort erlebte, bezeichnet er mit Vokabeln unter denen „abartig“ noch eine glimpflichere ist. Bei ihm nämlich landete vor kurzem während einer Party ein großes, schwarzes Tag mitten auf der Kino-Leinwand. Zu den Kosten der zerstörten Leinwand kam natürlich auch der Ausfall von Vorführungen. Auch sonst zeigt der Weltecho e.V. wenig Verständnis, wenn seine Möbel und Wände als Leinwand genutzt werden. „Sicher“, so Scheller, „gibt es Clubs, in denen Tags und Graffiti zum Stil gehören, doch das Weltecho ist ein Kulturprojekt, dessen Publikum auch mal älter ist. Wenn es denen nicht gefällt, kommen sie nicht wieder.“ Alle Graffiti werden darum entfernt.
Frauenfreie Szene
Etwas anders gestaltet sich die Lage im Atomino. Hier kann die Herrentoilette getrost als Gesamtkunstwerk bezeichnet werden. An ihren Wänden ist fast kein Platz mehr für weitere Eddingstriche. Eine Tür weiter, auf dem Frauenklo, sind sie dagegen noch weiß. Ein Phänomen, das auch Kommissar Richter kennt. Er hat in seiner über zehnjährigen Tätigkeit nur selten weibliche Täter gefasst. Dass die Szene eher maskulin dominiert ist, erkannte man auch im Arthur e.V., und veranstaltet einen Workshop, der Graffiti auch weiblichem Publikum näher bringen soll. Das übernimmt die Berlinerin MyMo, die einen deutlich anderen Strich führt als ihre männlichen Kollegen. „Frauen könnten eine ganz andere Richtung im Graffiti etablieren“, findet Susann Neuenfeld vom Arthur. Statt Kreide oder Pinsel gibt sie darum Interessenten die Dose in die Hand. Gesprüht wird dabei natürlich nicht in Hinterhöfen im Schutz der Nacht, sondern auf Stellwände, die später auch als „Wall Of Femme“ eine Ausstellung bilden sollen. Denn eines ist schließlich längst hinfällig: die Diskussion, ob Graffiti eine Kunstform ist oder nicht.
Das sagt auch Guido Günther im Szeneladen Rebelart. An dessen Wänden zeigt die Kunst ihre diffizile Seite. Dosenaufsätze und Stifte in verschiedenen Stärken hängen da, hunderte professioneller Sprühfarben, Tinten, Lacke. Seit Günthers Experimenten mit Baumarktfarbe und den Caps von Haarsprays hat sich einiges getan. Etwa 1994 fing er mit dem Sprühen an, natürlich nicht immer da wo es erwünscht war. Nachdem er einmal erwischt wurde, war damit Schluss. Zwar war er da nur Begleitung, doch seine Eltern seien von der Hausdurchsuchung wenig begeistert gewesen. Rückblickend betrachtet er das als Jugendsünde.
Aufgegeben hat er das Sprühen natürlich nicht. Allerdings sucht er sich heute legale Wände. Dafür muss er allerdings in der Regel ein Stück Fahrt auf sich nehmen. Denn anders als etwa zum Kulturfestival Begegnungen, bei denen am Bauzaun des neuen Behördengebäudes im Zentrum gesprüht werden durfte, gibt es in Chemnitz noch keine Wall of Fame, an der sich Sprayer legal und publikumswirksam produzieren können. Daran arbeitet etwa Sebastian Laube, der sich in seinem Blog Colorful- Chemnitz und dem Jugendforum seit zweidrei Jahren um eine legale Wand bemüht. Mit Erfolg: demnächst zeichne sich nach langen Verhandlungen mit dem Bauamt ein positives Ergebnis ab – in gut sichtbarer Lage.
Chemnitzer Graffiti - Contest weltweit
Für den Chemnitzer René Kästner würde das wahrscheinlich nicht reichen. Für seine Bedürfnisse braucht er etwa 200 Meter laufende Fläche und eine für die Szene offenere Region – er organisiert das Write4Gold. „Jedes HipHop Element hatte schon seit Jahren seinen eigenen großen Contest“, sagt er. „Nur eben Graffiti hatte in dieser Richtung nichts zu bieten. So haben wir ein Konzept erstellt, einige Sponsoren angefragt und los gings.“ 2003 startete das erste Write4Gold – ein internationaler Graffiti-Wettbewerb. Nächstes Jahr soll es wieder eines mit ca. 20 Events in 18 Ländern geben, weltweit gibt es nichts Vergleichbares.
In Kästners Heimatstadt Chemnitz bleibt die Szene aber eher klein. Im Vergleich zu anderen Großstädten gibt es hier weniger Sprayer, aber auch weniger Möglichkeiten, weniger Anzeigen und weniger Graffiti-Tourismus. Auch einen vernünftigen Ideologie-Disput mit der Streetart und ihren politischen Inhalten würde man sich hier kaum leisten, bemängeln einige Protagonisten der Szene. Doch vielleicht ist auch dieser Zustand wie alles im Graffiti - vergänglich. Selten bleibt ein Piece für längere Zeit. Gesprüht wird für den Moment, das Foto und mittlerweile auch das Internet. Und selbst die Strafverfolgung ist nicht von Dauer: das illegale Malen verjährt nach fünf Jahren.
Text [&] Fotos: Michael Chlebusch
Erschienen im 371 Stadtmagazin 07/10