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100 Sprachen

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Kinder haben 100 Sprachen, 100 Hände, 100 Gedanken und 100 Wege des Lernens und Spielens, also warum verbieten wir 99 davon? - Loris Malaguzzi, Gründer des Reggio Emilia Erziehungsansatzes

Elsa hebt ihre Hand und beobachtet fasziniert, wie das Schattenspiel ihrer Hand die Farben der Leinwand verändert und dabei auf vollkommen neue Weise mit ihren gemalten Bilder interagiert. Dabei zaubert sie neue visuelle Welten vor ihre Augen, während sie Stück für Stück mehr über ihre Umgebung lernt.

Das ist eine von vielen Möglichkeiten, die Besuchende bei der interaktiven Ausstellung Bordercrossings vorfinden, welche bereits in New York, Argentinien, Brasilien und Schweden zu sehen war. Vom 1. 30. September wird sie im ehemaligen Gebäude der Eins Energie zu sehen sein und erlaubt Kindern basierend auf dem „Reggio Emilia“-Ansatz ihre eigenen Sprachen und Möglichkeiten zu erkunden, indem sie crossmediale Ansätze, Kunst und spielerisches Entdecken miteinander verbindet. Passend zum Ausstellungstitel laden die Exponate dazu ein, verschiedene Medien miteinander zu kombinieren und über die üblicherweise vorgegebenen Grenzen zu erkunden und zu überschreiten. So wird der Zeitraffer mit wachsendem Gras an der Wand zum Untergrund für ein Gemälde, ein Stock wird zum Spielgefährten eines Steines im Stop Motion Labor und das Licht zum Pinsel im Dunkeln.

Reggio Emilia entstand als eine Gegenbewegung zu den strikten Erziehungsmaßnahmen, die während des italienischen Faschismus verbreitet waren. Eine ganze Generation von Erwachsenen konnte und musste neu denken, was Kindererziehung wirklich heißen kann und sollte. Bei den Konzepten von Reggio Emilia geht es daher nicht nur darum, die Kinder komplett sich selbst zu überlassen, sondern auch genau zu beobachten, zu dokumentieren und auch Erwachsene zu animieren, davon zu lernen und Erzieher:innen zu inspirieren, neue Ansätze für das Lernen mit Kindern zu erkunden. Auch heute sollten wir permanent hinterfragen, ob die übliche Standardisierung, gegebenen Ausdrucksmöglichkeiten, Leistungsdruck und aktuelle Berücksichtigung der sozialen und emotionalen Entwicklung im Erziehungssystem wirklich ausreichend ist. Was machen wir bereits gut? Wo können wir uns weiterentwickeln? Zur Ausstellung in Chemnitz wird es daher ein umfangreiches Rahmenprogramm geben. Die gesamte Zivilgesellschaft und alle Institutionen sind herzlich eingeladen, um die Ausstellung als Denkanstoß für unsere Zukunft zu nutzen. Das Programm ist ebenso vielfältig wie ansprechend: von Lesungen und Filmen über regelmäßige Gespräche und Geschichten über einen nötigen Paradigmen-und Perspektivwechsel, bis hin zu Themen-Workshops zu lokaler Vernetzung, Identität, ästhetischem Lernen und mehr. Wir erkennen mehr und mehr, dass jeder individuell anders lernt und wächst. Darum ist es umso wichtiger, uns mehr mit nachhaltigen Bildungskonzepten auseinanderzusetzen und von den spielerischen und ehrlichen Ansätzen unserer Jüngsten inspirieren zu lassen.

Das schönste Schlusswort zum Thema hat Loris Malaguzzi selbst geschrieben: Kinder haben 100 Sprachen, aber wir verbieten 99 davon. Sie sollen ohne Hände denken, ohne Kopf zuhören und ohne Freude verstehen. Wir sagen den Kindern, dass Arbeit und Spiel, Wissenschaft und Vorstellungskraft, Himmel und Erde, Verstand und Traum nicht zusammengehören und versuchen Kindern zu erklären, warum sie so nicht sprechen und denken können. Aber Kinder sagen: Doch, können wir.

Text: Judith Well | Foto: reggio-children

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