⚠ Diese Webseite wurde nicht für Internet Explorer 11 optimiert. Wir empfehlen Mozilla Firefox , Microsoft Edge oder Google Chrome.

Das Web-App-Mag
Immer auf Tasche

Magazin

Abschiebung, Abschiebung, Abschiebung

Veröffentlicht am:

Menschen mit Fluchterfahrung werden schnell zu Zahlen in Statistiken, individuelle Hintergründe bleiben dabei mitunter unberücksichtigt. Jenen Menschen eine Stimme zu geben, macht sich der sächsische Flüchtlingsrat e.V. seit 1991 zur Aufgabe.

Unsere Redakteurin Paula Thomsen nahm die Arbeit der NGO genauer unter die Lupe und sprach mit Dave Schmidtke.

———————————————————————————————————-

Seit Jahren ist das Thema Abschiebung auf Wahlplakaten der AfD, BSW und Co präsent, aber auch Bundesinnenministerin Nancy Faeser fordert eine strengere Asyl- und Migrationspolitik und „smarte“ Kontrollen an den Grenzen Deutschlands.

Dave Schmidtke kümmert sich um die Öffentlichkeitsarbeit des sächsischen Flüchtlingsrats und sitzt in Dresden. Er selbst hat über 10 Jahre lang in Chemnitz gewohnt und sich als Flüchtlingssozialarbeiter engagiert, wodurch er mit der Chemnitzer Ausländerbehörde in ständigem Austausch war.

Paula: Was macht der sächsische Flüchtlingsrat und wie arbeitet er?

Dave: Der sächsische Flüchtlingsrat e.V. ist eine NGO, die seit 1991 in Sachsen aktiv ist und sich für die Interessen, Rechte und Gleichberechtigung von Geflüchteten und Asylsuchenden einsetzt. Wir beraten gebührenfrei, dokumentieren, veröffentlichen und kritisieren menschenrechtliche Missstände in Sachsen.

Paula: Immer wieder wird der Chemnitzer Ausländerbehörde rassistische Züge, nachlässiges Bearbeiten von Anträgen und wenig Kulanz in Zusammenarbeit mit Menschen mit Migrationsgeschichte vorgeworfen. Wie schätzt du das ein?

Dave: Im sachsenweiten Vergleich die Chemnitzer Ausländerbehörde in ihrer Arbeit nicht die Schlimmste. Gerade in der Region Ostsachsen mit Bautzen und Hoyerswerda sehen wir katastrophale Bedingungen. Besonders die Menschen mit Duldung haben dort kaum Perspektiven.

Das ist jedoch weniger von einer Struktur abhängig, als von einzelnen Mitarbeiter:innen in den Behörden. Immer wieder beobachten wir einen harten Umgang seitens der Behörde, der auch in Rassismus übergeht, wo die Personen angeschrien, Anträge ignoriert und Schikanen aufgebaut werden, wie Leistungskürzungen und Reiseverbote. Da ist leider eine Systematik erkennbar, die Menschen über Jahre zermürbt und katastrophale psychosoziale Folgen hat.

Paula: Begegnen euch in eurer Beratung viele Fälle, in denen die Chemnitzer Ausländerbehörde kritisch einzuordnen ist?

Dave: Ja. In meiner Arbeit als Flüchtlingssozialarbeiter in Chemnitz ist mir ein Fall begegnet, den ich nie vergessen werde. Abschiebungen sind sehr kostspielig, so dass diese häufig nicht durchgesetzt werden, jedoch zu jedem Zeitpunkt wieder möglich sind. Diese “Kettenduldung” hat häufig Schlafstörungen, Depressionen und Panikattacken zur Folge.

Nach gängiger Praxis wurde eine Familie aus Tschetschenien zu einem Behördengespräch eingeladen. Bei dem Gespräch wurde die Familie, Eltern und zwei Kinder unter 10 Jahren, in Polizeigewahrsam genommen und sollte abgeschoben werden, wogegen sich die Mutter zu wehren versuchte, indem sie sich beide Arme aufschnitt. Als ich dazugerufen wurde, war die Mutter an einem Stuhl fixiert, links und rechts zwei Polizeibeamte. Man wartete gerade auf den Krankenwagen, während das Blut der Mutter nur so lief. Ich konnte zu dem Zeitpunkt ein Gespräch zwischen zwei Sachbearbeiterinnen verfolgen. Eine war mit der Situation sichtlich überfordert und fragte, was sie jetzt tun solle, während ihre Kollegin auf die Durchsetzung der Abschiebung mit der Begründung pochte, man “hätte in der nächsten Woche sonst die nächste Person, die sich aufschlitzt”. Stunden später erklärte ein Arzt die Frau als nicht-reisefähig und die Abschiebung wurde abgebrochen.

Das Beispiel zeigt vor allem, wie überfordert die Behörden sind und dass sie oft nicht wissen, welche Geschichten und Lebenslagen hinter den Menschen stecken.

Paula: Der wohl bekannteste und aktuellste Fall, in dem man der Chemnitzer Ausländerbehörde Versagen und Rassismus vorwirft, ist der von Robert A., der bereits im Alter von 8 Monaten nach Chemnitz kam. Was ist da der aktuelle Stand?

(Anm. d. Red.: Wer Roberts Geschichte ausführlich lesen will, findet online eine Menge Portraits)

Dave: Im Juli 2024 wurde Robert. A. bei einem vermeintlich regulären Gespräch mit der Ausländerbehörde von der Polizei festgenommen und in die Dresdner Abschiebehaft gebracht. Die für wenige Tage später angesetzte Abschiebung nach Serbien wurde durch Eilpetitionen und Demonstrationen in letzter Sekunde ausgesetzt. Jetzt entschied eine Härtefallkommission, dass die Abschiebung von Robert aber gerechtfertigt sei und nun wieder jederzeit abgeschoben werden kann.

Paula: Gibt es Möglichkeiten, gegen die Entscheidung der Kommission vorzugehen?

Dave: Sein Rechtsbeistand wird weiter versuchen, die akute Abschiebegefahr zu verhindern. Es muss ein gut begründeter Eilantrag in der Behörde in Chemnitz gestellt werden. Außerdem gibt es die Option, bei höheren Gerichten zu klagen, da Robert nach 30 Jahren als faktischer Inländer zu behandeln ist. Aber wie das finanziert werden sollte, ist derzeit absolut unklar.

Über jede Möglichkeit der Finanzierung, könnt ihr euch auf unseren Seiten erkundigen. Auch wir als Verein sind für jede Unterstützung dankbar.

Update 17.09.2024
371: Nach der erneuten Prüfung durch die Härtefall-Kommission, wurde sich gegen ein Bleiberecht für Robert A. entschieden, wodurch die Abschiebung effektiv nicht mehr wirklich zu verhindern sein wird. Ein trauriges Ergebnis.

Website: saechsischer-fluechtlingsrat.de

Instagram: saechsischer_fluechtlingsrat

Text: Paula Thomsem / Foto: Sächsischer Flüchtlingsrat

Zurück