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Bewegende Beobachtungen über die Natur des Menschen

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Ein Besuch im Ballett lohnt immer. Die Premiere von “Wellen. Flimmern.” bietet eine gute Gelegenheit die Eindrücke des Abends vorzustellen. Ein Gespräch mit dem Ballett-Choreographen Erion Kruja. Oder auch: Ein Plädoyer für das moderne Ballett.

Ein dumpfer Hammerschlag dröhnt durch den gesamten Saal. Im Zentrum des Geschehens befindet sich ein junger Mann, der langsam, aber stetig seine Spitzhacke auf den Boden kracht und dabei von Umstehenden andächtig umkreist wird. Die Bewegung der Tänzer:innen überträgt sich langsam auf den Körper des jungen Mannes. Seine eiserne Hacke beginnt ebenfalls zu kreisen und er schwingt mit weit ausgestreckten Armen das gewichtige Werkzeug über die Bühne. Das urtümliche Gefühl der Kraftanstrengung wird so durch Bewegung auch auf die Zuschauer:in übertragen und die Gedanken für neue Eindrücke und Emotionen des Abends geöffnet.

Ballett ist kraftvoll, es ist eine Ausdrucksform, die durch ihre einzigartige Präsentation kaum einer anderen Kunstform gleicht. Durch die Verbindung von Musik, visuellen Eindrücken und Bewegung befindet man sich im Ballettsaal an einem Ort, der Eigenschaften und Bedürfnisse anspricht, welche die Natur des Menschen seit Anbeginn der Zeit definiert haben.

Die aktuelle Ballettpremiere heißt “Wellen.Flimmern.” und ist eine Zusammenstellung von 3 modernen Ballettstücken, die als Gesamtkomposition gerade in unserer Oper besucht werden können. Das moderne Ballett hat es nicht immer leicht. Von Fans des traditionellen Ballets argwöhnisch betrachtet und von der allgemeinen Bevölkerung eher ignoriert, gehen diese Stücke oft im allgemeinen Wirrwarr des täglichen Lebens etwas unter. Doch gerade das moderne Ballett schafft es auf aktuelle Themen einzugehen und baut Brücken zu jüngeren Menschen, die mit der Konformität und teilweise problematischen Untertönen klassischer Stücke nichts anfangen können.

Das moderne Ballett ermöglicht so einen frischen und neuen Zugang zur bewegten Kunst. Die drei Stücke erforschen die Geschichte, Zukunft und Natur des Menschen auf unterschiedlichste Art und Weise. Das erste Stück des Abends “How The Body Works the Dark” von Martin Harriague startet den Abend mit einem Blick in unsere Vergangenheit. Die Szenerie des Bergwerks und damit einhergehende körperliche Anstrengung und Schmerzen sind beeindruckende Darstellungen, die daran erinnern, wie viele Herausforderungen Menschen in den letzten Jahrhunderten bereits überkommen haben.

Im zweiten Stück ”Risse” von Andonis Foniadakis befinden wir uns im Hier und Jetzt und beobachten Ekstase, Lust und Erschöpfung. Der Kontrast in Szenerie und Bewegungsform zum ersten Stück zeigt eindrücklich die vielfältigen Möglichkeiten dieser Kunstform. Wo im ersten Stück tiefe Töne und schwere Bewegungen zum Vergangenen dominieren, zeigt das zweite Stück schnelle und flüssige Bewegungen zu einer modernen und lebensbejahenden Energie.

Diese Eindrücke kulminieren im letzten Stück des Abends: “The Perfect Land 3022”. In diesem Stück setzt sich der Choreograph Erion Kruja mit der Frage auseinander, wie die Geschichte und Natur des Menschen unsere Zukunft formen kann. Erion Kruja wählte die Szenerie eines unberührten Planeten, um zu erkunden, wie der Mensch darauf reagieren würde. Aber wie beantwortet man diese Frage eigentlich? Ihm ist es dabei wichtig zu klarzustellen, dass es keine ultimative Wahrheit gibt. Es gibt hier keine große Enthüllungen, sondern nur die Realisierung, dass jede Person eine andere Form sucht, um sich den eigenen Fragen zu stellen. Und damit erreicht das Stück auch genau das, was es erreichen will: Es dient als Denkanstoß, selbst Antworten zu suchen und als Inspiration, wie kreativ diese Suche aussehen kann.

Auch der Werdegang von Erion Kruja selbst ist spannend und bietet viele interessante Denkanstöße und Fragen, über die es sich zu sinnieren lohnt. Erion ist Choreograph, Komponist, Bühnen- & Kostümdesigner für seine Stücke und kehrte jetzt für diese Premiere nach vielen Jahren an seine Ausbildungsstätte in Chemnitz zurück. Daher nutzten wir direkt die Gelegenheit, nochmal nachzufragen, wie er sich mit seinen Themen auseinandersetzt.

“Trotz meiner mehr als 30 Lebensjahre, bin ich irgendwie trotzdem nur ein 18 Jähriger in der westlichen Welt”, so der in Albanien geborene Choreograph. Er hat inzwischen die Hälfte seines Lebens in westlichen Ländern verbracht, aber stößt dennoch regelmäßig auf Unterschiede und auch überraschenden Gemeinsamkeiten, die ihn wiederum anregen, in verschiedenen kreativen Medien nach Ausdrucksmöglichkeiten für seine Gefühle und Gedanken zu suchen. Vor allem auch die geschichtlichen Parallelen der DDR Geschichte und des kommunistischen Regimes in Albanien bis 1990 zeigt wie Menschen auch über 1.000 Kilometern Entfernung dieselben Gefühle, dieselben Probleme und auch genau dieselben Ausdrucksformen haben, um ihre eigene Geschichte, Gegenwart und Möglichkeiten für die Zukunft zu erkunden.

Ballett spricht ohne Worte, nur mit Musik und Bewegung. Oft sind es junge Menschen, die viel reisen, viel sehen und die Welt durch ihre Erfahrungen und Beobachtungen verbinden. Genau deshalb ist diese Kunstform nicht nur zeitlos, sondern auch immer einen Besuch wert. “Wellen. Flimmern.” ist noch bis April auf der Bühne der Theater Chemnitz zu sehen.

Text:Marco Henkel | Foto: Ida Zenna

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