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Das Verbrechen vor der Haustür

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Gedenkstättenarbeit soll einerseits an vergangene Schrecken erinnern, andererseits vor deren Wiederholung und Relativierung warnen. Dieser Herausforderung stellt sich der Geschichtswerkstatt Sachsenburg e. V.

Der Weg von Frankenberg nach Sachsenburg ist idyllisch: Die Zschopau fließt gemütlich durch die Landschaft, in der sich Wald und Uferwiesen abwechseln, darüber ragt das spätgotische Schloss auf einer hohen Felswand empor. Doch kurz bevor die Straße ins Dorf abbiegt, taucht auf der linken Seite des Wegs, am Ufer des Flusses, eine riesiges Gebäude mit der Aufschrift „Sachsenburg-Werke” auf. Solche leerstehenden Fabriken, Relikte aus der späten Blütezeit der industriellen Revolution, sind in Mittelsachsen keine Seltenheit. Nähert man sich dem Tor des Gebäudes, fallen mehrere Gedenktafeln auf, die darauf hinweisen, dass die Idylle – wie so oft – trügerisch ist. Bei der Fabrik handelt es sich um das ehemalige KZ Sachsenburg, in dem zwischen 1933 und 1937 bis zu 10.000 Männer gefangen gehalten, gefoltert und zur Arbeit gezwungen wurden. Das weiträumige Gelände, das heute teils in privater Hand, teils in Besitz der Stadt Frankenberg ist, besteht aus dem großen Fabrikbau, einigen Nebengebäuden, dem Appellplatz und im Zentrum stehenden Kommandantenvilla.

Das KZ Sachsenburg gehört zu den ersten Lagern der Nationalsozialisten, in denen zunächst vor allem ihre politischen Gegner – Sozialdemokrat:innen und Kommunist:innen – inhaftiert wurden. Erschreckend ist, wie schnell diese Orte vor den Augen der Öffentlichkeit entstanden. Bereits Anfang April 1933, nur wenige Wochen nach der Wahl, informierte das Landeskriminalamt Sachsen über seinen Plan, im Raum Chemnitz ein größeres Schutzhaftlager einrichten zu wollen, schon im Mai wurden die ersten Häftlinge in die Fabrik verlegt. Neben den bereits erwähnten politischen Gegnern wurden Juden, Theologen, Zeugen Jehovas, Homosexuelle und sogenannte „Kriminelle” und „Asoziale” gefangen gehalten. Die Höchstbelegung erreichte das KZ Sachsenburg im Jahr 1935 mit fast 1.400 Personen, die zusammengepfercht auf Feldbetten und mit vier Toiletten unter dem Regiment der stationierten SS-Mannschaft leben mussten. Zum „Alltag” des Lagers gehörte Zwangsarbeit in dem nahegelegenen Steinbruch, Isolationshaft oder vorgetäuschte Erschießungen.

Dass in Chemnitz kaum etwas über das nur wenige Kilometer entfernte Konzentrationslager bekannt ist, ist ein Grund dafür, dass sich Anna Schüller bereits seit zwölf Jahren in Sachsenburg engagiert. Die Lehrerin stieß während ihrer Abiturzeit mit einer Gruppe von Freund:innen bei der Arbeit an einem Film über Tatorte des Nationalsozialismus auf das ehemalige KZ und begann in Sachsenburg aktiv zu werden. „Wir wollten damals mit anderen Jugendlichen etwas zusammen machen, das Gelände erkunden, entdecken und den Ort bekannt machen. Und da haben wir die Initiative Klick gegründet.”, berichtet Anna über die Anfänge ihrer Arbeit in der Gedenkstätte. Seitdem organisieren sie Workshopwochen, Rundgänge und seit Kurzem auch eine Ausbildung von ehrenamtlichen Guides. Aus der bereits erwähnten Initiative entstand 2018 der Geschichtswerkstatt Sachsenburg e. V., zu dem knapp zwanzig Mitglieder gehören. Eine wichtige Frage für den Verein ist, wie die Gestaltung der Gedenkstätte aussehen wird. Konkret geht es dabei um die Zukunft der Kommandantenvilla, die nach den bisherigen Plänen der Stadt Frankenberg bis auf den Sockel abgerissen werden soll. Die Geschichtswerkstatt hält das für einen Fehler. „Uns selbst geht es darum, dass man sich klar macht, dass wir keine Zeitzeugen außer den Steinen und den Dokumenten haben.”, betont Anna. „Und wenn man ein Gebäude abreißt, dann zerstört man diese Zeitzeugen unwiderruflich.”

Die Möglichkeit dazu, das ehemalige KZ Sachsenburg zu besuchen, wird es in den kommenden Tagen bei der Fahrradtour, die am 25. September vom AJZ aus startet, oder am 26. September beim öffentlichen Rundgang im Rahmen der Tage der jüdischen Kultur geben.

gedenkstaette-sachsenburg.de

Text: Christian Selent

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