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Die Stadtverwaltung startet eine neue Kommunikationskampagne, die das abgeblich schlechte Image der Stadt verbessern soll. Startpunkt ist eine Website, auf der jeder sein Bekenntnis für Chemnitz abgeben kann.
Stadtmarketing, das wurde auch in diesem Magazin schon häufig behandelt, ist ein komplexes und schwieriges Themenfeld. Da eine Stadt ein hybrides Wesen ist und eben kein Produkt, ist eine einfache Vermarktungsstrategie kaum möglich. Da bildet Chemnitz keine Ausnahme. Am ehesten funktioniert da noch die Fokussierung auf potentielle Touristen oder das Standortmarketing für mögliche Investoren. Weit komplexer ist die Imagebildung einer Stadt zum Zwecke des Bevölkerungswachstums. An dieser harten Nuss nagt nun die Kampagne „Die Stadt bin ich“, erdacht von der Chemnitzer Werbeagentur zebra, eine der größten ihrer Art im deutschen Osten.
Der Komplexität der Aufgabe begegnen die Werbeprofis mit einer erstaunlich simplen Idee: Nicht die Kreativlinge der Agentur texten die Claims und Werbeaussagen, die Chemnitzer selbst sollen die Stichworte für das Chemnitz-Image liefern. Zentraler Ort dieser Stichwortsuche ist das Online-Dialog-Portal www.die-stadt-bin-ich.de. Dort sollen die Chemnitzer und Chemnitzerinnen ihr Bekenntnis für die Stadt hineinschreiben. Joerg G. Fieback, Geschäftsführer von zebra, erklärt, dass es um die Gründe geht, „warum es sich lohnt, in Chemnitz zu leben und woran es zu arbeiten gilt.“ Dabei gehe es keineswegs nur um Lobhudelei. Von einer Einladung zu „einem lebendigen, liebevollen und gern auch kritischen Dialog“ ist aus der Pressestelle der Stadtverwaltung zu hören. In deren Räumen liegt übrigens auch die redaktionelle Hoheit über die Website und die daran angeschlossene Facebook-Seite. Dass Mitarbeiter der Stadtverwaltung nun zu Sachbearbeitern in Sachen Stadtmarketing werden, ist ein untergeordneter aber erstaunlicher Aspekt.
Schwarmhafte Auseinandersetzung
Joerg G. Fieback bezeichnete die Kampagne bei ihrer Präsentation als innovativ, weil zukünftig Kampagnen, die ein Image von oben verordnen wollen, nicht mehr funktionieren würden. Die Kampagne wird also nicht mehr erstellt, sie entsteht erst bei den Adressaten in einer Art schwarmhaften Auseinandersetzung mit dem Produkt. Damit greift Fieback eine aktuelle These zu Werbung im digitalen Zeitalter auf, die unter Marketingexperten heiß diskutiert wird. Allein, die Verifikation dieser These steht noch aus. Unsicherheitsfaktor Nummer eins ist das Internet selbst. Es ist ein geschwätziger Ort mit Kurzzeitgedächtnis. Hier wird zwar alles verhandelt, aber selten tiefgründig oder gar nachhaltig. Darüber hinaus passt noch immer der alte Hut der Medienwissenschaften, wonach wir nur das lesen, was unserer Meinung entspricht. Der linksliberale Bürger liest eben taz und nicht Die Welt, weil er dort sein Weltbild bestätigt fühlt. Die selbstgewählte Kommunikationsform ist meist eine eindimensionale, und das ist bei Webseiten nicht anders. Sprich: Auf einer Seite mit tendenziell positiven Chemnitz-Bekenntnissen werden sich auch nur die wohl fühlen, die ein ebensolches Bekenntnis abgeben wollen. Kritische Geister weichen auf andere Portale aus. Sie kommen als Adressaten deshalb kaum in Frage, sind aber wohl die eigentlichen Auslöser der Kampagne. So betonten die Oberbürgermeisterin Barbara Ludwig als auch der zebra-Geschäftsführer, dass die Chemnitzer zu viel meckern. Ist es aber nicht eher eine gefühlte Wahrheit, dass der Chemnitzer außerhalb seiner Stadt selbige in den Dreck zieht? Belegbar ist das jedenfalls nicht. Am ehesten zu erfühlen ist das hingegen in den Foren einschlägiger Webseiten. Aber hält die Spezies Kommentarnörgler, gern auch Troll genannt, tatsächlich die Meinungshoheit über das Image dieser Stadt? Oder anders gefragt: Wenn dem so sei, funktioniert dann eine Feel-Good-Seite tatsächlich als Pendant zu den Meckerforen? Hendrik Gransee, Gründer der Chemnitzer Facebook-Plattform „Quo Vadis Chemnitz“ glaubt nicht daran. „Dass wir Chemnitzer im Grunde unsere Stadt lieben, muss man nicht Hundertfach über alle Medien kundtun. Das wissen wir. Dafür braucht es keine verordnete Kampagne.“
Marketing vs. Bürgerkritik
Die Chemnitzer Kommunikationskampagne muss diese Fragen nicht beantworten, schließlich ist sie ein Marketinginstrument und keine Plattform für Bürgerkritik. Daran stoßen sich aber Betreiber anderer Dialog-Plattformen. Ronny Uhlig ist einer der beiden ehrenamtlichen Betreiber der Facebookseite „Unser Chemnitz und Karl-Marx-Stadt“ (kurz UcuKMS). Seine Seite strebt aktuell auf die 15.000er Like-Marke zu, ein enormer Wert. Einzelne Posts, von denen es bis zu fünf am Tag gibt, werden hier schon mal von hundert Leuten kommentiert. Uhlig verweist auf die Glaubwürdigkeit und Neutralität seiner Seite. Der Web-Konkurrenz aus der Stadtverwaltung steht er kritisch gegenüber: „Eine Image-Kampagne funktioniert nur vom Bürger für die Bürger“, und fügt an, „Die Stadt müsste sich erst einmal mit der immensen angestauten Bürgerkritik vertraut machen.“ Etwas anders sieht es sein Kollege Lars Schreiber, Betreiber des neuen Blogs Ostmetropole.de. Er sieht „die Chance, dass die Chemnitzer ihre Stadt mehr lieben lernen“ und hofft, „dass die Kampagne ein Bewusstsein dafür schafft, dass es hier eigentlich ganz schön ist.“
Damit passt der 25-jährige Einzelhandelskaufmann perfekt in die Zielgruppe der zebra-Kampagne. Denn einen Effekt hat www.die-stadt-bin-ich.de in jeden Fall. Sie ist eine Mutmacherseite, auf der die, die mit ihrer positiven Chemnitzstimmung nicht länger allein sein wollen, Verbündete finden. Ob, auch und gerade im Zusammenspiel mit den noch geplanten Maßnahmen, diese positive Grundstimmung Kreise zieht, bleibt abzuwarten. Fakt wird aber immer bleiben – die Kampagne kann vielleicht eine Stimmung erzeugen, nie jedoch die Probleme der Stadt lösen. Diese Probleme sind aber die Ursache für Kritik und Meckerei, nicht das gefühlt schlechte Image.
Hier gibt es mehr zu Chemnitzer Online-Dialog-Plattformen.
Text: Lars Neuenfeld
Erschienen im 371 Stadtmagazin 04/14