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Noch sieht man hier immer die selben Nasen: Doch bald soll sich das ändern.
Die Gegend um den Brühl ist bekanntlich eines von Chemnitz’ städtebaulichen Sorgenkindern. Geklagt wurde über den verwaisten Boulevard genug. Doch in den nächsten Jahren werden hier Nägel mit Köpfen gemacht.
Auf dem Brühl hat ein neuer Laden eröffnet. Das ist noch immer eine seltene Meldung. Noch seltener ist es, dass zur Eröffnung die Oberbürgermeisterin und ein Minister aus Dresden anreisten. Und noch nie wurde gemeldet, dass beide insgesamt über drei Millionen Euro als Eröffnungsgeschenk mitbrachten. Die Rede ist vom neuen Brühlbüro, von wo aus sich in den nächsten sechs Jahren die Millionen über die heruntergekommene Fußgängerzone ergießen sollen. Das Büro, mitten auf dem Boulevard an der Ecke Untere Aktienstraße, dient dabei als zentrale Anlaufstelle für Eigentümer, Bewohner, Gewerbetreibende, potentielle Investoren, Projektträger und interessierte Bürger.
In dem geräumigen Eckladen kann sich jeder über den Brühl-Masterplan informieren, sogar ein styrophorener Miniatur-Brühl ist zu bestaunen. Ansonsten herrscht arbeitsame Atmosphäre in dem spartanisch eingerichteten Büro von Urs Luczak und seinen Mitarbeitern. Luczak ist Brühlmanager, der erste seiner Art. Er will „verlorenes Vertrauen wieder zurück gewinnen“. In den letzten Jahren hätte es einfach kein gemeinsames Konzept gegeben, keine Vision. Die sei nun da. „Es gibt ein klares Bekenntnis der Stadt zum Brühl. Die Entwicklung dieses Areals hat nun Priorität“. Mit der Gründung des Brühlbüro soll auch ein Zeichen gesetzt werden. Ein Zeichen für eine „gewisse Ernsthaftigkeit gegenüber Investoren, aber auch für junge Kreative, die sich hier einbringen wollen.“
Rosige Aussichten
Er verzeichnet ein starkes Interesse am Brühl. „Jeden Tag kommen Menschen in unser Büro. Manche wollen sich einfach informieren, andere kommen mit ganz konkreten Projekten und Ideen zu uns.“ Nicht wenige interessieren sich für einen Hauskauf. Auch Erik Escher, Pressesprecher der GGG, verzeichnet „mit Blick auf die Ansiedlung der TU ein gestiegenes Interesse seitens der Investoren.“ Fakt ist: Der Immobilienmarkt boomt vor dem Hintergrund der Eurokrise wie lange nicht mehr. Manche Städte melden schon ausverkauft, Chemnitz hat mit seinem bisherigen Sorgenkind Brühl aber einen echtes Ass im Ärmel. Denn die Zukunftsaussichten klingen für Investoren rosig: Der Willen zur Entwicklung eines innerstädtischen Universitätsquartiers ist dabei sicher das Hauptargument, die Ausreichung von Fördermitteln ein zusätzliches. Wenn alles wie geplant läuft, beginnt der Umbau der Alten Aktienspinnerei zur Zentralen Universitätsbibliothek bereits in anderthalb Jahren.
Grünes Licht also für die verlassene Flaniermeile. Doch wie soll der neue Brühl aussehen? Als Masterplan liegt die „Städtebauliche Planungsstudie zur Entwicklung des Gebietes Brühl Boulevard“ vom Architekturbüro Albert Speer [&] Partner zu Grunde. Grundsätzliches Ziel ist es, „einen lebendigen, kulturell vielfältigen, studentisch geprägten und innovativen Ort urbanen Lebens“ zu schaffen.
Konkret soll der Brühl in einen Wohnboulevard und einen Kiezboulevard unterteilt werden. Der Wohnboulevard zwischen Zöllnerplatz und Rosa-Luxemburg-Schule soll eine grüne Wohnstraße mit Vorgartenzone werden. Der südliche Teil wird als Kiez-Boulevard zum urbanen, belebten Raum mit Geschäften, Cafés und Kunst. Zwischen diesen beiden Zonen soll der Bereich um die Schulgebäude zur lebendigen Quartiersmitte werden. Hier soll nicht nur ein öffentlicher Treffpunkt für Anwohner mit Raum für Veranstaltungen, Gastronomie, Spiele und Märkte entstehen, sondern auch ein Kulturzentrum in der Karl-Liebknecht-Schule. Das Atomino hat hier bereits die Vorhut gebildet.
Fragiler Markt
All das und vieles mehr ist Teil des großen Brühl-Plans. Für die gesamte Umstrukturierung sind drei Phasen angedacht, von der die letzte in maximal 25 Jahren abgeschlossen sein soll. Der neue Brühl wird also in seiner vollen Schönheit wohl erst der nächsten oder übernächsten Generation junger Großstädter zur Verfügung stehen. Es tut sich aber jetzt schon etwas: Im Brühlbüro weiß man von zahlreichen, aufgrund der aktuellen Entwicklung nunmehr sanierungswilligen Hausbesitzern. Auch die GGG als mit Abstand größter Eigentümer im Brühl-Areal forciert die Aufwertung ihrer Immobilien. Dabei verzeichnet sie für die bereits fertiggestellten Häuser eine ausgesprochen gute Nachfrage. „Unsere bisherigen Sanierungsobjekte haben wir mit Blick auf die Ansiedlung von Teilen der TU Chemnitz vorwiegend auf die Zielgruppen Studenten und junge Menschen ausgerichtet, bspw. durch WG-geeignete Wohnungen und einzeln anmietbare Zimmer. Zukünftig entstehen aber auch große, familiengeeignete Wohnungsgrundrisse.“ erklärt Escher die Zielstellung des stadteigenen Wohnungsunternehmens. Dennoch spricht er sich angesichts von nahezu 30.000 leerstehenden Mietwohnungen in Chemnitz für ein vorsichtiges Agieren aus. „Wir entwickeln das Karree 1 am Brühl bspw. über mehrere Jahre hinweg und können unsere Sanierungsleistungen so der tatsächlichen Nachfrage anpassen.“
Ein anderer Weg, den fragilen Wohnungsmietmarkt nicht übermäßig zu strapazieren, wäre das Schaffen von Wohneigentum. Studien zeigen, dass es ein gestiegenes Interesse an innenstadtnahen Wohneigentum gibt, als Gegensatz zur Flucht in die Speckgürtel früherer Jahrzehnte. Käufergemeinschaften gelten hier als Trend: Mehrere Parteien schließen sich zusammen, kaufen ein größeres Stadthaus und bauen dies nach eigenen Wünschen um (siehe auch diesen Beitrag). Zwar freut man sich bei der GGG auf derartige Kaufinteressenten, stellt aber fest, dass die diesbezügliche Nachfrage bisher eine untergeordnete Rolle spielt. Urs Luczak weiß anderes aus seinem Brühlalltag zu berichten. „Ich spüre eine relevante Nachfrage nach anderen Wohnformen“, und erzählt von Ideen für Mehrgenerationen-Häuser oder genossenschaftlichen Projekten. Seine Aufgabe ist dabei eine koordinierende. Neben den Interessen der Immobilienwirtschaft will er helfen, auch andere Dinge zu ermöglichen. „Wir sammeln Projektideen und prüfen, wie diese vielleicht zusammen realisiert werden können.“ An Optimismus mangelt es dem Brühlmanager wahrlich nicht. Er ist sich sicher: „Wenn es Sinn macht den Brühl zu beleben, dann jetzt!“
Die komplette städtebauliche Planungsstudie gibt es auf der Webseite der Stadt Chemnitz.
Text: Nils Martin [&] Lars Neuenfeld Foto: Michael Chlebusch
Erschienen im 371 Stadtmagazin 11/12