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Multi-Millionen-Euro-Halle: Wie ein leerer Platz die Innenstadt voller machen soll
Am 15. August 2024 trafen sich OB Sven Schulze und MP Michael Kretschmer im Grünen Salon des Rathauses. In Anwesenheit zahlreicher Gäste unterzeichneten sie eine Absichtserklärung, die die Entwicklung des Areals zwischen Brückenstraße und Käthe-Kollwitz-Straße in Chemnitz als Sport- und Kulturcampus vorsieht. Welche Standortfragen dies mit sich bringt, wer daran welche Interessen knüpft und warum ein Lichtfestival als Blaupause für eine Multifunktionshalle dient, lest ihr in der folgenden Bestandsaufnahme.
Ausgangslage
Bereits im Juni 2019 unterzeichneten der Freistaat Sachsen und die Stadt Chemnitz die Vereinbarung, die Fläche hinter der sogenannten Parteifalte bis zur Käthe-Kollwitz-Straße zu entwickeln. “Dabei wird den Bedarfen des Freistaates und der Stadt Chemnitz durch eine Aufteilung der Flächen Rechnung getragen.” heißt es auf chemnitz.de.Für seine Fläche sah der Freistaat eine neue Verwaltungszentrale vor. Auf der Fläche der Stadt hätte u.a. ein neues Schauspielhaus Platz gefunden. Mit der Absichtserklärung 2024 sehen Freistaat und Stadt von diesen Plänen ab. Die Stadt benennt das bis dato als “Theaterquartier” geführte Areal zu einem Sport- und Kulturcampus um, der Freistaat gibt seine Fläche gegen eine Ausgleichsfläche an die Stadt zurück. Im April 2024 fragt BÜNDNIS 90/Die Grünen:“Welche Modelle zur Beschaffung und Bereitstellung des Grundstückes sind denkbar [...] ?” Bürgermeister Michael Stötzer antwortet: “Der Flächentausch [...] kann je nach ausgewählten Flächen auch den vorherigen Erwerb von Privatgrundstücken durch die Stadt Chemnitz bedeuten.” Der “Erwerb von Privatgrundstücken” impliziert, dass eine gleichwertige Ausgleichsfläche ggf. nicht im Besitz der Stadt ist, also erst gekauft werden müsste, um sie dann an den Freistaat zu übergeben. Grob gerechnet, handelt es sich um eine Fläche von ca. 6.000 bis 10.000qm.
Initiator:innen und Verheißungen
Voran treibt das Vorhaben der Baukultur für Chemnitz e. V. In einer Präsentation auf seiner Website plant der Verein die “Transformation zur multifunktionalen, resilienten, grünen und lebendigen Innenstadt.” Hierfür soll eine historische Laufachse von der Universitätsbibliothek über den Schillerplatz, durch die Kunstsammlungen, mit einem Durchbruch durch die Parteifalte bis zum Stadthallenpark und dem Rathaus wiederhergestellt werden. Für die Belebung der Flaniermeile braucht es Attraktionen. Und nun kommt die Multifunktionshalle ins Spiel. Obwohl von einer Multifunktionshalle die Rede ist, meint dies eine Halle für die Basketballmannschaft Niners. Der aktuelle Spielort mit 5.200 Plätzen - die Messe Chemnitz - reiche kapazitär nicht mehr aus. “Die Niners könnten bei Heimspielen wesentlich mehr Karten verkaufen. [...]”, weiss der MDR. Angestrebt würden 10.000 bis 12.000 Plätze. Versprochen wird ein sogenannter Bilbao-Effekt. Zurückzuführen ist dieser auf den Architekten Frank Gehry und seinen Neubau des Guggenheim-Museums in Bilbao. Die Vorsitzende des Vereins, Claudia Fischer, erklärt im Freie Presse Interview: “Wir denken, dass ein außergewöhnliches Gebäude auf die Fläche gehört. [...] Also ein Gebäude, das so eine Anziehungskraft wie die Elbphilharmonie in Hamburg hat.” Um ihre Pläne voranzutreiben, haben Fischer und Kollegin Linda Hüttner das Lichterfestival Light our Vision ins Leben gerufen, mit dem sie 2024 50.000 Menschen in vier Tagen in die Innenstadt bewegen konnten. Sämtliche Installationen reihten sich entlang der geplanten Flaniermeile für die Innenstadtbelebung. Eine gute Argumentationsgrundlage, wenn es um den Bau einer Halle ginge.
Wie verhält sich die Stadt?
Die Stadt Chemnitz folgt den Ausführungen des Baukultur für Chemnitz e. V. Nachdem der Niners GmbH sieben Flächen vorgeschlagen worden, fiel die Wahl auf den Marienplatz. Es folgte die Absichtserklärung zum Grundstückstausch mit dem Freistaat. In der Anfrage der Grünen greift sie sogar die Beispiele des Vereins auf. “Eine hochwertige Architektur kann zudem zu einer Stärkung des Tourismus beitragen. Beispiele dafür sind das Guggenheim Museum in Bilbao oder die Elbphilharmonie in Hamburg.” Eine Machbarkeitsstudie soll klären, “ob zum einen eine Halle städtebaulich und hochbaulich in das Areal integriert werden kann und zum anderen ob eine Multifunktionshalle wirtschaftlich in Chemnitz umsetzbar ist.” Eine in diesem Zusammenhang online durchgeführte Bürger-Befragung ergab, dass 52,8 % (1133 Stimmen) der 2.146 Teilnehmer:innen eine innenstadtnahe Multifunktionshalle befürworten, wobei 1.469 die Spiele der Niners besuchen. Die mehrheitliche Befürwortung eines solchen Standortes fußt also auf der Frage nach einer Multifunktionshalle, nicht einer reinen Nutzung durch die Niners. Die Finanzierung weist die Stadt ausdrücklich von sich. Bürgermeister Michael Stötzer bestätigt: “Im kommunalen Haushaltsplanentwurf 2025/2026 und in der mittelfristigen Finanzplanung 2027 – 2029 sind bislang keine Mittel eingestellt.” Der Geschäftsführer der Niners GmbH, Steffen Herhold, erklärt, es gebe ein Team aus Unterstützern und Investoren. Die Freie Presse identifiziert u. a.: Linda Hüttner (Bauunternehmen Gunter Hüttner), Toni Kunze (Edeka) und Architekt Thomas Naumann (Büro für Städtebau). Erstere und Letzterer sind beide Teil des Baukultur für Chemnitz e. V.
Fragen, die bleiben
Egal, wie es gedreht wird - irgendwie erscheint der Prozess nicht ergebnisoffen. Eine Stadt, die der Argumentation von Unternehmen folgt, eine Standortfrage, die nie eine zu sein schien, eine Bürger:innen-Umfrage, die kaum tendenziöser sein könnte. Angenommen, die Machbarkeitsstudie gibt im Frühjahr 2025 grünes Licht. Was würde passieren?
1. Mit Freigabe des Standortes müsste die Stadt dem Freistaat eine Ausgleichsfläche zur Verfügung stellen: Wo befindet sich diese Fläche? Was würde es kosten, ein vergleichbares Grundstück aus privater Hand zu kaufen?
2. Wenn die Stadt die Finanzierung der Halle ausschließt und die Kosten von Unternehmen getragen würden: Welches Zugeständnis macht die Stadt im Gegenzug? Sind die Kosten durch z.B. Einmietung der Stadt nicht am Ende höher, als selbst zu bauen?
3. Sollte der Bau 2030 abgeschlossen sein: Welche Lösung gibt es für das Personen- und Verkehrsaufkommen? Was ist mit der Lärmemission?
4. Der Bau würde den Umbau der Parteifalte bedingen: Wie kann dies mit dem Denkmalschutz vereinbart werden? Wie soll ein Durchgang durch die Kunstsammlungen funktionieren?
1 https://www.chemnitz.de/chemnitz/de/unsere-stadt/stadtentwicklung/innenstadt/freistaat/index.html
2 https://sessionnet.owl-it.de/chemnitz/bi/ag0050.asp?__kagnr=18066
3 https://buergerbeteiligung.sachsen.de/portal/chemnitz/beteiligung/themen/1043954
Text: Hans Sprungfeld / Foto: Architektenkammer Sachsen