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Rocko Schamoni ist die wandelnde Ausgeburt der Kreativität und Komik. Nina Kummer hat sich mit ihm über Keramik, Gentrifizierung und Scheiße unterhalten. Seitdem will sie sich die Ohren nicht mehr waschen.
Was verbindest du mit Chemnitz oder was fällt dir als erstes dazu ein?
Ich persönlich kenne nur zwei Sachen aus Chemnitz, die für mich von Bedeutung sind. Das eine ist AG-Geige und das andere ist Kraftklub. Es gibt bestimmt einige Dinge, für die Chemnitz bekannt ist, aber ich habe mich noch nicht viel mit der Stadt beschäftigt.
Du bist in vielen Bereichen unterwegs: bist Gentrifizierungskritiker, bist politisch aktiv, bei der Flüchtlingshilfe, Clubbetreiber vom Pudel Klub, Autor, Musiker, in der Schmuckherstellung tätig. Wo liegt bei dir der Schwerpunkt?
Ich lasse mich da treiben und folge meiner Neugier. Da ich das Leben für eine große Schulveranstaltung halte, bei der man die Möglichkeit hat, so unglaublich viel zu lernen, nutze ich die Möglichkeit auch. Momentan ist für mich die Herstellung von Wand-Fliesen aktuell.
Ich frage drei mal nach ob ich das richtig verstanden habe. Ja, habe ich. Ich bin hellauf begeistert.
Ich habe als junger Mensch eine Keramiker-Ausbildung gemacht. Jetzt habe ich mich darauf zurückbesonnen, weil ich das ja eigentlich alles kann. Ich habe angefangen Fliesen herzustellen. In einem angesagten Restaurant in Hamburg habe ich die Sanitäranlagen hergerichtet. Das sind Kunstfliesen, keine weißen Sanitärfliesen. Die sind sehr farbig, mit merkwürdigen Motiven drauf. Die sehen so toll aus, dass die Gäste auf den Sanitäranlagen nachfragen und auch gern bestellen wollen.
Bald kann man sich diese Fliesen auf schamoni-fliesen.de anschauen.
Du hast diese Keramiklehre gehasst und trotzdem beziehst du dich nun wieder darauf?
Dinge können sich drehen im Laufe eines Lebens. Als ich das mit 16 angefangen habe, war das ein Eingeständnis an das Sicherheitsbedürfnis meiner Mutter, die gerne wollte, dass ich irgendetwas mache. Ich hatte während der Lehre zwar meine eigene Welt und meine Unabhängigkeit, aber es war nicht das, was ich eigentlich machen wollte. War mir zu Hippie-mäßig. Jetzt habe ich aber gemerkt, dass es ganz viel in diesem Bereich gibt. Ich muss ja keinen Hippie-Esoterik Töpferquatsch machen, keine Tonigel und so. Ich kann ja auch coole Sachen daraus machen. Und weil dieser ganze Keramikbereich in Deutschland mit dem Makel des Öko-Geschmacks behaftet ist, kann ich ihn komplett frei erschließen. Da kann man wunderbare Sachen machen, die das komplette Gegenteil von Hippie sind. Ich freue mich darauf.
Wie stehst du als Hanseat zum sächsischen Dialekt? Ist das angsteinflößend oder gefällt dir das, weil in Hamburg ja eher Hochdeutsch gesprochen wird?
Missingsch heißt der Fachbegriff für den Dialekt hier in Hamburg. Dieser wird leider fast gar nicht mehr gesprochen.
Ich beschreibe, dass der sächsische Dialekt eine Sache ist, über die viele lachen. Deswegen gewöhnen es sich immer mehr Leute ab, so zu reden.
Es ist genau wie beim Schwäbisch, das klingt immer als hätte man Brei im Mund. Man findet das irgendwie lustig, weil das so komisch wabernd ist, während das Berlinerische eher härter ist und das Hamburgerische eher breit klingt. Bizarrerweise erzeugen ja all diese Dialekte unterschiedlichste Emotionen, dass ist echt komisch. Und beim Sächsischen muss ich auch eher schmunzeln. Man fragt sich immer warum das so klingt, liegt das an der Kehligkeit?
Ich mache ein paar Mundübungen, und gehe in Gedanken ein paar Hard-Core-Sächsisch Vokabeln durch. Antwort kann ich ihm darauf leider nicht geben.
Du bist vom Dorf in die Stadt geflohen, gibt es für dich eine Mindestgröße von Stadt?
Ich steh´ ehrlich gesagt immer noch auf Provinz. Wenn ich in Provinzstädte komme, die ihren Soul erhalten haben, gefällt mir das total. Dieses Großstadtgefühl geht eigentlich erst ab der Größe von Berlin los. Das hat man nur einmal in Deutschland. Hamburg ist dann doch eher dörflich.
Ich unterdrücke einen Aufschrei. Vor meinen Augen fährt die Hamburger Straßenbahn vorbei, aller 5 Minuten, immer prall gefüllt.
Wenn man hier jahrelang wohnt, kennt man irgendwann alles. Man kennt die Viertel und weiß genau, wann und wo etwas läuft. Es ist wirklich sehr überschaubar hier. Ich komme langsam in ein Alter, wo ich mir überlege, ob es sich überhaupt noch lohnt in eine fremde große Stadt zu fahren. Ich habe das Gefühl, dass ich zu alt bin, um sie überhaupt noch kennenlernen zu können. Deswegen interessiere ich mich jetzt wieder für Kleinstädte.
Udo Lindenberg hat damit gedroht, Sänger Thees Uhlmann ist schon nach Berlin gezogen. Hast du jemals daran gedacht, Hamburg zu verlassen? Bei dir klang es nach der Rückkehr in die Provinz?
Nein, ich will eher aus Deutschland weg, am liebsten in den Süden. Ich habe dieselben Träume, die jeder tendenziell depressiv veranlagte Mensch hat und der durch Endorphinproduktion seinen Seelenhaushalt aufbessern möchte. Ich brauch dafür Licht und Sonne.
Ist dieser ständige Zuzug von Leuten, die sich auf dem Land unverstanden und einsam gefühlt haben, wichtig für die kulturelle Entwicklung einer Großstadt?
Meiner Ansicht nach ist das so, dass die interessantesten Leute in Großstädten vom Land kommen. Die Stadttypen sind ja mit allem was es gibt aufgewachsen. Die waren gar nicht in dem Modus etwas erfinden zu müssen. Da war halt alles da. Die Dorftypen mussten ständig alles selbst erzeugen und sind mit diesem Motor dann in die Stadt gegangen. Dort haben sie für tierischen Wind gesorgt. Deswegen sind Dörfler in der Großstadt schon etwas Wichtiges. Das ist für das Dorf aber total schrecklich. Jeder Motor, der weg ist, nimmt dem Dorf Kraft.
Wenn aber alle guten Leute wegziehen und man es den netten Leuten aus den Ortschaften auch rät, kann man sich dann noch zu Recht aufregen, dass diese Orte immer spießig sind?
Nein, dass darf man nicht. Ich bin sowieso ein Fan vom Pendeln. Ich kann nur raten, sich auf dem Land, als Gruppe, einen Hof zu besorgen und den herzurichten. Dann kann man in der Stadt arbeiten und sich auf dem Land erholen. Man nimmt etwas aus der Stadt mit und bringt es aufs Land. Und man geht gut erholt mit neuen Ideen zurück in die Stadt.
Es gibt Gerüchte, dass Leipzig das neue Berlin wird und Chemnitz wiederum das neue Leipzig. Du kommst aus dem leidgeprüften Hamburg. Hast du Tipps für die Chemnitzer, wie diese sich gegen Immobilien-Haie und Hipster zur Wehr setzen können?
Ich habe mal die Devise ausgesprochen: „Alle gehen nach Halle“, mit der Idee, dass man quasi vor der Gentrifizierung flüchtet und vor den ganzen Effekten. Das Problem ist, dass so eine Fluchtbewegung die nächste Gentrifizierungswelle wäre. Man muss versuchen Hypes zu verhindern, um so zu verhindern, dass Rushmomente entstehen. Man müsste so etwas also ein bisschen undercover machen. Und mit Leuten, die das nicht sofort an die große Glocke hängen. Damit das klein vor sich hin wachsen kann.
Wurde in den 80ern und zu Beginn der 90er bessere Musik gemacht? Oder spannendere?
Die Musiklandschaft heute ist völlig anders als früher. Früher hat es zum guten Ton gehört, dass in jedem Dorf Bands geprobt und gespielt haben. Es gab eine unglaubliche Bandbreite von miserabelster Musik bis hin zu total coolem Zeug. Heute hat sich das durch die Produktionstechniken stark formatiert. Das hat den Vorteil, dass das jeder zu Hause machen kann. Das heißt aber nicht, dass jeder die Möglichkeiten ausnutzt interessante Musik zu machen.Die 80er waren experimenteller und freier. Der Anspruch, nach alles Seiten kreativ tätig zu sein, war größer. Das führte zum Beispiel zu großartigen Bands. Diesen experimentierfreudigen Geist vermisse ich heute ein bisschen.
Ich habe immer das Gefühl, dass die Leute Musik wollen, die nicht anspruchsvoll ist und auch keine Verwirrung stiftet. Man will sich nicht mehr tiefgründiger mit Musik beschäftigen,zumindest kommt es mir so vor.
Die Großen Radiosender reden mittlerweile von Mood-Management, das heißt Musik wird nicht mehr als Musik eingesetzt, sondern um Gefühle von Zuhörern zu managen. Mood-Management ist eines der zynischsten Worte die ich kenne. Das sind gelenkte Gefühle von Arbeitskräften.
Du hast beim Fraktus-Film mitgewirkt, mit Helge Schneider zusammen gespielt, stehen bald andere Filmproduktionen ins Haus?
Wir arbeiten am nächsten Fraktus-Spielfilm.
[nbsp]Am Ende muss ich ihn natürlich noch auf seine legendäre Schmuckkollektion ansprechen, denn Rocko Schamoni stellt selbstverständlich auch Schmuck her. „Scheiße by Schamoni“ ist ein Seitenhieb auf die Schmuckindustrie á la Swarovski und Co. - Sie machen nicht Scheiße zu Gold, sondern Gold zu Scheiße.
Bringst du zu Deinem Atomino-Auftritt auch Teile deiner hochwertigen Scheiße-Schmuckkollektion mit? Es ist immerhin Vorweihnachtszeit.
Vielleicht bringe ich ein bisschen Schmuck mit. Aber auf Tournee so einen Koffer mitzuschleppen ist mir eigentlich zu aufwendig.
Als ich nach einer Kette oder einem Ring frage, merke ich, dass Schamoni auch sehr gut Verkaufsgespräche führen kann. Er berät mich ausgezeichnet. Und gibt mir einen weisen Schlußsatz mit fürs Leben:
Man darf sich nicht permanent mit Scheiße behängen, sonst wird irgendwann alles scheiße.
Herr Schamoni, vielen Dank für das Gespräch.
Interview: Nina Kummer Foto: Kerstin Behrendt
Info:
Rocko Schamonis erste LP erschien 1988. 1989 gründete er mit anderen den legendären „Pudel Klub“ im Hamburger Schanzenviertel. Nach seinem Roman-Debüt „Risiko des Ruhms“ folgte 2004 sein Bestseller „Dorfpunks“, der auch auf die Bühne gebracht und 2009 in die Kinos kam. Weitere Bücher folgten.
Mit Jacques Palminger und Heinz Strunk hat Rocko Schamoni mehrere Studio-Braun-Theaterstücke inszeniert, unter anderem „Fleisch ist mein Gemüse“ und zuletzt im Mai 2014 „Fraktus“. 2012 kam der Studio-Braun-Film „Fraktus“ in die Kinos.
Rocko Schamoni ist am 18.12. im Atomino. Er will Ungehörtes aus seinen gesammelten Werken und gänzlich Neues vorlesen. Außerdem wird er zusammen mit seiner Band ein paar seiner größten Hits vortragen.
Erschienen im Heft 12/15